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Kapitel 3


Kapitel 3: In die Berge des Aberglaubens



Endlich kam der Tag des Aufbruchs. Ich hatte wider Erwarten gut geschlafen und auch nicht von Nuggets geträumt. Nach einem guten Frühstück mit Pat holte uns Corky mit Mary Lou vom Campground ab und brachte uns zum First Water Trailhead, etwas westlich des Lost Dutchman State Parks. Hier sollte der Ausgangspunkt für unsere Tour sein, und wir hatten die Route ausgiebigst mit Martin, dem Ehemann von Pat besprochen.
Da wir den Rangern nicht so richtig trauten, waren wir auf ihn gekommen, und er war gewiss ein zuverlässiger Typ. Er hatte sich stundenlang für uns Zeit genommen, hatte geduldig jedes einzelne Wasserloch besprochen, hatte Alternativrouten dargestellt und wirklich jede noch so dumme Frage beantwortet. Und wir hatten wirklich dumme Fragen.
Corky zeigte uns noch mal, wie man richtig packt, und wir standen da und glotzten. Wir konnten es noch gar nicht fassen. All die Planung, die Angeberei beim Radiosender WDR EINS LIVE, bei dem wir vor der Tour noch ein Interview gegeben hatten, alles ging auf. Mary Lou war davon allerdings gar nicht begeistert. Sie guckte demonstrativ in eine andere Richtung und wenn uns doch mal ein flüchtiger Blick streifte, dann war er abschätzig.  
Als wir sie das erste Mal gesehen hatten, war ich ziemlich überrascht gewesen, wie klein sie war. Außerdem hatte ich noch nie davon gehört, daß Araber besonders gute Packpferde sein sollten, aber man hatte darauf bestanden, und wir hatten irgendwie sowieso wenig Auswahl. Und dann hatte Corky gesagt, sie könne 200 Pfund tragen. Wir luden ihr aber gerade mehr als 300 Pfund auf. Irgendwie schon komisch. Allerdings hatte ich für solch periphere Nebensächlichkeiten gerade überhaupt keine Nerven. Ich wollte endlich los, in das größte Abenteuer meines Lebens. Ich wollte alles geben und alles gewinnen, ich wollte alles riskieren und alles erleben. Und wir waren gerade dabei, alles falsch zu machen.
Nach den obligatorischen Fotos und Abschiedsszenen gingen wir los. Ich stürmte vor, um die ersten Bilder der Tour auf Film zu bannen. Was ich durch den Sucher der Kamera sah, entzückte mich. Ein Typ mit Hut, Rucksack und Bauchtasche latschte mit strahlendem Gesicht vor seinem weißen Pferd durch die Kaktuslandschaft. Das Pferd war schwer beladen, aber es lief gut. Mir klopfte mein Herz vor Freude bis zum Hals. Ich konnte meine Gesichtszüge kaum bändigen und mußte die ganze Zeit grinsen. Ich war so unendlich high, daß ich vor lauter Glückshormonen wahrscheinlich durch jede Dopingkontrolle gefallen wäre. Ständig rannte ich vor, um ein weiteres Bild von Alex und Mary zu machen. Und noch eins, und noch eins.



Leider hielt die Freude nicht sehr lange, denn nach etwa einer Stunde fing es an zu regnen. Da wir erst um elf losgekommen waren, mußten wir uns sehr beeilen. Wir wollten noch heute von Norden her den Boulder Canyon durchqueren, an dessen Fuß ein Fluß verlief, um an der Kreuzung mit dem Lost Dutchman Trail unser Nachtlager errichten zu können.
So hasteten wir durch die unglaublich schöne Landschaft mit Kakteen, Saguaros, Palo Verde Bäumen, Sträuchern und Blumen. Wir durchquerten auch das sogenannte Garden Valley, ein Ort, an dem, wie schon gesagt, ein alter Indianerfriedhof mit Grabbeigaben aus Gold gefunden worden war. Aber wir hatten keine Zeit zum Suchen. Regen bedeutete Wasser, und Wasser bedeutete einen breiten Fluß. Die Landschaft war überwältigend, steile Felsen unter einem dramatischen Himmel, und das Laufen gefiel mir anfangs ganz gut trotz des Regens.
Mit Regen ist es ja immer so eine Sache. Wenn es anfängt, dann ärgert man sich, weil man seine Regensachen rauskramen muß. Hat man sie dann angezogen und geht ein paar Schritte, dann sieht die Sache schon wieder ganz anders aus. Man fühlt sich ausgewildert, den Elementen trotzend. Der Abenteuerwert steigt. Die Welt hat sich verändert, ist naß und von neuem interessant. Sie wirkt unnahbar und abweisend hart. Der Abenteuerwert steigt weiter. Dann wird einem langsam kühler, anfangs nur ein bisschen, und das ist noch recht angenehm, weil es ja unter dem Regenzeug beim Gehen warm wird. Dann beginnt man zu denken, was man doch für ein verdammt stählerner Kerl ist, hier so ganz weit draußen, und wenn einen doch bloß seine Freunde jetzt sehen könnten. Der Abenteuerwert hat hier sein Maximum erreicht. Regen macht Spaß. Man sieht zu den Wolken auf und läßt sich ein paar Regentropfen ins Gesicht klatschen. Freudeschöner Götterfunken! Oh, wie nah man doch an der Natur ist!
Alex roter Rucksacküberzug sah wahnsinnig witzig aus in der wilden, grünen Natur. Neben mir schwirrte ein bunter Hummingbird, eine Art Kolibri, durch die nassen Blätter eines Busches und versuchte mit seinem langen Schnabel in das Innere einer gelben Blüte zu kommen. Ich war Alice im Wunderland. Ich konnte das Abenteuer spüren. Es überzog meine Haut und füllte meinen Kopf, es galoppierte auf meinen Nervenbahnen durch meinen ganzen Körper. Endlich war ich an der Reihe. Endlich war ich in der Lage, meinen Schatz holen zu können. Endlich, mein Gold, gleich bin ich bei Dir!
Ich sah meine nassen Hände, die kräftig die Leki-Gehstöcke umfassten: mit ihnen würde ich das Gold nach Hause tragen. Wenn es sein mußte, würde ich tausendmal laufen. Und selbstverständlich ging ich davon aus, daß ich mindestens tausend Hände voll Gold finden würde. Schätze sind schließlich immer groß.  
Sooft ich das Buch über die Mine gelesen hatte, sooft hatte ich Angst gehabt, ein anderer könnte meine Mine vor mir finden. Jeder neu auftauchende Hinweis machte es möglicher, daß ein anderer die Mine vor mir fand. Ich war im Laufe der Jahre eifersüchtig und besitzergreifend auf diese Mine geworden. Ich war wie ein kleiner Jakob Walzer. Die Mine gehörte schon seit Jahren mir. Ich mußte sie suchen. Ich. Bisher waren es immer die anderen gewesen. Doch niemand hatte sie finden können. Der Grund dafür war klar. Sie gehörte mir allein und wartete auf mich. Ich war der einzige, der sie finden durfte. Endlich war ich hier und konnte mir nehmen, was mein war. In mir machte sich ein Gefühl breit, daß man normalerweise nur hat, wenn man nach einer ewig langen Reise wieder nach Hause kommt. Ich war der neue Herr der alten Peralta-Minen.



Aber zuviel der Selbstbeweihräucherung. Als wir den Fluß am Fuße des Boulder Canyons erreichten, wurde mir ziemlich schnell bewußt, daß ich keineswegs John Mac Obertrapper war, auf den hier irgend jemand oder irgend etwas gewartet hatte. Das Wasser des Regens begann, sich hartnäckiger mit meinen Regenklamotten zu beschäftigen und fand den einen oder anderen Ritz. Mir wurde langsam kalt. Die Abenteuerwert-Verlaufskurve neigte sich rapide dem Nullpunkt zu. Ich war brutal in die Realität zurückgeholt worden.
Der Trail sollte sich laut Karte am Ufer des am Canyongrund fließenden Boulder Creek entlang schlängeln. Als wir den Fluß erreichten, sahen wir, daß der Trail auf der anderen Seite des Flusses verlief, um einer steilen Felsformation auf unserer Seite auszuweichen. Also hopsten wir balancierend über die noch aus dem steigenden Wasser guckenden Steine und folgten dem Pfad weiter in Richtung Süden auf der anderen Seite des Flusses. Wie witzig, kaum hundert Meter weiter mußten wir schon wieder über den Fluß, weil diesmal eine Gruppe Kakteen im Wege stand. Also wieder über die glitschigen Steine. Bloß keine nassen Füße holen! Das gibt Blasen! Mary stakste mit anteilnahmslosem Gesicht hinter uns her. Ihr gefiel das nicht.  
Nur wenige hundert Meter weiter sollte die nächste Überquerung anstehen, und dann die nächste, und die nächste... Wir waren stocksauer. Wer zur Hölle legte hier die Wege an? Klatschnass und gedemütigt beschlossen wir, unser Zelt aufzubauen und auf besseres Wetter zu warten. Man konnte den Fluß ja schon fast beim Steigen zusehen.
Wir fanden den einzigen einigermaßen guten Campground an der Stelle, an der wir den Fluß das erste Mal überquert hatten. Was für eine Ironie! Ich hätte fast gegrinst, aber ich hatte mich gut unter Kontrolle. Noch dazu war der Platz auf der falschen Seite des Flusses, umgeben von Felsen und Kakteen, aber ohne Weg aus dem Canyon hinaus. Der Platz bildete eine kleine Insel hinter dem Fluß und vor der Felswand.  
Im strömenden Regen bauten wir das Zelt auf und versorgten Mary Lou, der wir vor lauter Schuldgefühlen eine Plastikplane als Regenschutz umbanden. Zehn Minuten später lag sie im Dreck. Mary hielt nichts von Orange.
Der Regen wurde noch heftiger, Hagel mischte sich darunter, und wir waren froh, schon im Zelt zu liegen, naß, wie wir waren. Sorgen machten wir uns nur um den Fluß. Wenn er über Nacht weiter steigen würde, würden wir am nächsten Tag Probleme haben, von unserer „Insel“ wegzukommen.
Nachdem wir noch einen Abflussgraben um unser Zelt gezogen hatten, lagen wir da, zitterten vor Kälte und Nässe und überlegten uns, wie wir den beim Abpacken gerissenen Gurt wieder reparieren konnten. Für den ersten Tag war das Kräftemessen mit den Naturgewalten nicht gerade gut für uns ausgegangen, aber wir bekamen noch eins drauf. Kurz nachdem es gegen neun Uhr aufgehört hatte zu regnen, zog ein Gewitter auf, das nur aus Sturm und Blitzen bestand. Kein Regen, und nur ein einziger Donner. Aber was für einer! Wir waren in den Bergen des Aberglaubens, einem Gebiet, das die Indianer seit jeher voll panischer Angst meiden, es war stockdunkel, und wir bekamen ein Schauspiel geboten, daß mich in den Grundfesten meiner Erziehung nach Schulwissen erschütterte. Geister gibt es nicht, sagst Du? Ich sage, ich weiß es nicht mehr.
Das Unwetter ließ unsere Welt schrumpfen. Es gab nur noch den Talkessel und die hohen Berge um uns herum. Es bedeutete nichts, daß hinter diesen Bergen irgendwo andere Menschen waren. Sie hätten auch auf dem Mars sein können. Es gab kein Entkommen aus diesem Inferno und unser einziger Schutz war unser knapp 5 qm kleines Zelt. Draußen kreischten die Geister auf den Gipfeln, und wir kamen uns vor, wie in einer anderen, einer fremden Welt. Die wild zuckenden Blitze kamen aus allen Richtungen, und ihr Licht warf immer wieder scharfe Schatten auf die Zeltwand. Es war, als ob etwas um unser Zelt herum tanzen würde. Alptraumhafte Gestalten hatten das Zelt umstellt! Ich hatte die Angst eines kleinen Kindes, das an Monster unter seinem Bett glaubt.
Die sich entladende Elektrizität eines gewaltigen Blitzes ließ die Luft im Talkessel knistern und stellte meine Nackenhaare auf. Für die kleine Ewigkeit von gut drei Sekunden war alles so strahlend hell wie bei einer Atomexplosion. Der Blitz zischte gefährlich wie ein feuerspeiender Drache und der folgende Donner, übrigens der einzige der ganzen Nacht, ließ die Erde beben. Sein Krachen war ohrenbetäubend, und sein Echo brach sich mehrmals an den Canyonwänden. Erschrocken zuckten wir zusammen und blickten uns angstvoll an. Unsere entsetzten Schreie waren nicht zu hören gewesen, und wir langen nur zwanzig Zentimeter von einander entfernt. Draußen wieherte Mary Lou. Wo waren wir da bloß wieder rein geraten?
Die Dämonen tanzten in einem tobenden Strudel voller Energie. Die fauchenden Schläge der Blitze klangen wie ihr heiseres, hysterisches Lachen. Es war ein wahrer Hexenkessel. Die Berge machten ihrem Namen alle Ehre. Die Berge des Aberglaubens. Sie waren es wirklich.
Wir vergruben unsere Köpfe unter den nassen Kleidern und suchten verzweifelt Ruhe im Schlaf. Aber wie zum Trotz wurde der Sturm noch stärker, und ständig fuhren wir erschrocken aus unserem Halbschlaf auf. Jedes Mal mit dem ersten Gedanken an Mary Lou allein da draußen. 



Der Morgen des nächsten Tages war entsprechend. Ich mußte alle Kraft aufwenden, um mich aus meinem feuchtwarmen Schlafsack zu schälen. Erst lange nach Alex konnte ich diese Meisterleistung vollbringen. Der Sturm hatte sich gelegt, und es war wirklich kalt.
Ich schlüpfte in meine nassen Klamotten und schätzte, daß es wohl noch mindestens eine Stunde dauern würde, bis die Sonne hinter den Bergen hervorkommen würde. Missmutig betrachtete ich das Eis, das sich in der Nacht auf dem Zelt gebildet hatte. Es war so dick wie die Schicht Nutella, die ich mir als kleiner Junge immer auf mein Frühstücksbrot gestrichen hatte. Mann, ich war damals wirklich abhängig von dem Zeug gewesen. Mary Lou schien es aber gut zu gehen, sie ließ sich gerade ihre Pelletts schmecken.
Da die gesamte Ausrüstung naß war, beschlossen wir, auf die Sonne zu warten, um erst mal unsere Sachen trocknen zu können. Ganz besonders achteten wir darauf, daß der Rücken des Pferdes immer trocken war, bevor wir den Sattel auflegten, damit sich Mary Lou Sherpa nicht wund scheuerte.
Vorsichtig riskierten wir schon einmal einen Blick Richtung Fluß. Aber der sah friedlich aus, und wir hofften, daß er noch weiter zurückgehen würde, je länger wir warteten. Als dann endlich nach etwas mehr als einer Stunde die Sonne hinter den Bergen hervorkam, schob sich eine dicke Wolke davor. Himmel, was haben wir geflucht.
Irgendwann war es aber dann doch so weit, und wir konnten nach einer Dusche an einem kleinen Wasserfall das Pferd wieder beladen. Das war immer die unangenehmste Sache am Tag.
Wir hatten das Futter für unser Pferd, immerhin 80 kg, aus den zwei Pappsäcken genommen, in denen es geliefert worden war, und auf sechs blaue, ungefähr gleich schwere Mülltüten verteilt. Die hatten wir rechts und links in die Packtaschen gestopft. Jeweils etwa 40 kg, die einer von uns hochheben und dem anderen, der auf der anderen Seite des Pferdes stand angeben mußte, damit dieser die Schlaufen der Packtaschen am Sattel befestigen konnte. Dann kamen unsere Ausrüstungssäcke an die Reihe.
Als Packsäcke für unsere Ausrüstung hatten wir uns zwei Bundeswehr-Seesäcke gekauft, die wir mit ihren Trägergurten  miteinander verbunden hatten, um sie von oben auf das Pferd legen zu können, so daß jeweils einer der Säcke auf einer Seite des Pferdes hing. Dabei war die Balance das Wichtigste. Jeden Tag verloren wir mehr Gewicht durch unser und Mary Lous Essen, und jeden Tag mußten wir die Säcke neu gewichten. Es war schwere Arbeit. Manchmal nahmen wir Mary dreimal das Gepäck wieder ab, weil es doch zu sehr nach einer Seite zog. Sechsmal vierzig Kilo hoch und wieder runter, nur damit es unterwegs dann doch wieder verrutschte. Und der gestern gerissene Gurt machte uns zu schaffen. Wir hatten ihn zwar notdürftig repariert, aber es sah nicht nach Arbeit für die Ewigkeit aus.
Wir hatten uns dazu entschlossen, den gescheiterten Weg von gestern nicht noch einmal zu versuchen, sondern statt dessen den Weg, den wir gekommen waren zurückzugehen, und an einer Kreuzung in der Nähe des Garden Valley auf den Black-Mesa-Trail zu schwenken, und diesem bis zum südlichen Ausgang des Boulder Canyons zu folgen.
Der Aufstieg aus dem Canyon, in dem wir gecampt hatten war anstrengend. Die Feuchtigkeit der Nacht verdunstete in der Sonne, der Hang war steil, und Mary Lou legte ein solches Tempo vor, daß wir anfingen, uns alle zehn Minuten bei ihrer Führung abzuwechseln.
Da Pferde die starken Beine hinten haben, versuchen sie immer, sich so fest wie möglich abzustoßen. Und ein so schwer beladenes Pferd wie Mary Lou natürlich erst recht. Sie ging ab, als sei der Teufel hinter ihr her. Vielleicht dachte sie aber auch, daß wir schon wieder auf dem Heimweg waren, und wollte sich deshalb beeilen. Sie hatte ja keine Ahnung, was ihr mit uns noch alles bevorstand!
Als wir oben ankamen, waren wir alle drei klatschnass geschwitzt. Leider war Marys Sattel verrutscht, so daß wir die ganze Packerei noch einmal machen mußten. Ich glaube, sie hat sich diebisch darüber amüsiert.
Ich hatte am Anfang der Tour überhaupt nicht das Gefühl gehabt, als ob Mary auch nur einen von uns ein wenig leiden konnte. Ich glaube, sie hielt uns von Beginn an für ausgemachte Schwachköpfe, und es war ihr sichtlich peinlich, mit uns zwei, bei Begegnungen mit anderen Wanderern dümmlich grinsenden Deppen gesehen zu werden. Wir dagegen konnten unser Glück noch immer nicht fassen und bemühten uns redlich um ihre Zuneigung. Immerhin wußten wir ja, wie lange wir zusammenbleiben würden. Aber wenn es nach Mary Lou aus Apache Junction, Arizona, USA, gegangen wäre, dann wäre die Tour lieber gestern als heute zu Ende gegangen. Aber sie hatte ja Gott sei Dank bei uns nicht viel zu sagen.
Bald darauf fanden wir den Abzweig zum Black-Mesa-Trail und wanderten bei strahlendem Sonnenschein über eine herrliche Hochebene. Wahrscheinlich hätte die ganze Reise anders ausgesehen, wenn wir erst heute von Apache Junction aus losgegangen wären.



Die Hochebene auf der wir standen, erstreckte sich weit in alle Richtungen und vermittelte eine Weite, die uns das Gefühl gab, viel tiefer Luft holen zu können als irgendwo sonst. Nach allen Seiten sah man ferne Gipfel aufsteigen. Wir dachten, tagelang über diese Fläche laufen zu können, ohne auch nur in die Nähe dieser Gipfel gelangen zu können. Dabei waren sie laut Karte nur einen Katzensprung entfernt. Ein Berg aber überragte alle anderen. Die mysteriöse Weaver’s Needle zeichnete sich schwarz und steil gegen den blauen Himmel ab.
Dieser Berg ist einer der Schlüssel zu der verlorenen Goldmine. Walzer soll nämlich gesagt  haben, daß er von der Mine aus den Berg, aber von diesem Berg aus die Mine nicht sehen könne. Höchst ominös, wie mir schien, denn man konnte diesen verdammten Berg von überall sehen, und Walzer hat niemals gesagt, aus welcher Richtung er ihn hat sehen können.



Wir liefen fast verloren über die weite Ebene. Dann ging es allerdings wieder bergab. Der Weg war ziemlich steil und felsig, und ich beobachtete mit flehenden Blicken unser Pferd. Mehr als einmal rutschte sie, aber sie fing sich jedes mal ohne Probleme ab und ging weiter, als ob nichts geschehen wäre. Aber sie holte sich auch ein paar Kratzer, und blutete bald leicht aus zwei kleinen Wunden. Für mich als Tierschutzvereinsmitglied eine absolute Katastrophe. Für sie nicht. Sie marschierte weiter ihren Weg, und als wir einmal den Trail verloren hatten, da übernahm sie wie selbstverständlich die Führung und brachte uns zurück auf Kurs. Man merkte ihr ihre lange Erfahrung als Packpferd in diesem Gebiet an. Aber es war mir, als ob sie es uns ganz besonders zeigen wollte. Uns Deppen.
Gegen vier Uhr erreichten wir unser Ziel, die Kreuzung mit dem Lost Dutchman Trail und fanden einen schönen Platz für unser Zelt. Es sah so aus, als ob hier des öfteren ein Zelt stehen würde, und der Platz hatte wirklich alles, was es brauchte. Wasser in der Nähe, Holz erreichbar und gute Sicht nach allen Seiten. Wir banden Mary Lou in der Nähe an, wo auch ein wenig Gras zu finden war, versorgten sie und bereiteten uns schon langsam für die Nacht vor. Wir waren müde durch die schlechte letzte Nacht, aber ein Lagerfeuer mußte noch sein, schon wegen des Feierlichen. Und wir hatten von diesem Tag an jeden Abend ein Feuer. Wir saßen da, aßen Cookies und tranken eine letzte Dose Bier, die wir zur Feier des ersten Tages draußen gestern verschmäht hatten.
Wir saßen noch lange am Feuer, betrachteten den Sonnenuntergang und später die Sterne. Was waren wir doch für Glückspilze! Unsere Schuhe trockneten in der Wärme des Feuers, und es ging uns gut.

Um kurz vor sieben rappelte der kleine verhasste Wecker, aber es dauerte noch bis kurz vor acht, ehe die Sonne auf unser Zelt fiel, und den Startschuß zu Aufstehen gab. Wieder war das Zelt von einer dicken Eisschicht überzogen, aber da das Land um unser Lager viel weiter war als um das von gestern, hatte die Sonne keine Probleme, schon früh bei uns zu sein. Nach einem ausgedehnten Frühstück suchten wir uns eine gute Stelle am Fluß und begannen ein wahres Badefest. Auch wenn das Wasser saukalt war, schrubbten wir zuerst Mary und dann uns. Und danach waren wir wirklich wach.



Für heute hatten wir eine Tagestour ohne Gepäck geplant, also ließen wir unser Camp aufgeräumt zurück, banden Mary nur einen Rucksack auf und gingen los. Wir wollten versuchen, den Boulder Canyon von Süden her zu betreten, und dann den Cavalry Trail nach Osten zu nehmen, um später über den Bull Pass Trail wieder unser Lager zu erreichen. Der Tag war warm und sonnig, vielleicht 25° C. Die Landschaft war berückend schön, und wir stolperten über den Trail wie Hans Guck-in-die-Luft.
Wie vermutet schlängelte sich der Weg dicht am Fluß entlang, und sprang mehrmals von Ufer zu Ufer. Wieder begann das Spiel. Wo ist es flach genug für Mary, und wo liegen Steine für uns? Gott, was hat uns diese Hüpferei genervt. Wenn ich sage, daß ich an diesem Tag 15 mal diesen verfluchten Fluß überquert habe, dann ist das nicht übertrieben. Ein Gutes hatte es allerdings, denn schon bald fanden wir heraus, daß Mary Lou keineswegs von uns geführt werden mußte. Ganz im Gegenteil. Wenn einer von uns auf der anderen Seite wartete, dann suchte sie sich ihren eigenen Weg und fing in der Nähe des Wartenden an zu grasen. Sie war wirklich gut, und wir hatten so viel weniger Probleme mit ihr. Normalerweise hatten wir sie nämlich immer am Zügel geführt und mußten so stets nah bei ihr bleiben. Wir hüpften dann in unregelmäßigem Tempo von Stein zu Stein und sie stolperte durchs Wasser. Dabei waren Rempeleien mit den Gepäcktaschen unvermeidlich, was meistens darin endete, daß einer von uns neben Mary im Wasser saß und sich arg zu beherrschen versuchte.



Nun, abgesehen von der Hüpferei über Steine war der Weg wunderschön, und er wurde sogar noch gegen Ende vom Bull Pass Trail übertroffen, den wir bei Beginn des Sonnenunterganges erreichten, und der uns vom Pass aus einen Blick schenkte, wie ich ihn zu Lebzeiten nicht mehr vergessen werde. Das Licht der untergehenden Sonne ließ die Gipfel der umliegenden Berge ganz nah zusammenrücken und verkürzte die Distanzen zwischen ihnen. Die milchigweiße Luft fing die goldenen Strahlen des scheidenden Tages auf und verlor sich in den Canyons. Ich habe wie ein Wilder fotografiert und gefilmt, während Alex wild in alle Richtungen staunend von Mary den Berg herauf geschoben wurde.



Wir erreichten unser Lager bei einsetzender Dunkelheit und waren sprachlos über die Schönheit dieses Gebirges. Wir versorgten das Pferd, machten Feuer, und wir sangen. Bon Jovi natürlich. Lieder über verzweifelte Verlierer irgendwo weit draußen und allein. Nach diesem wunderbaren Tag konnten wir uns nicht vorstellen, daß Tage kommen sollten, an dem er die gleichen Lieder über uns hätte schreiben können.

Für heute hatten wir den Wecker in weiser Voraussicht erst auf acht Uhr gestellt, und er rappelte, als die ersten Sonnenstrahlen auf unser Zelt fielen. Wieder war die Nacht lausig kalt gewesen mit dem obligatorischen Eis am Morgen. Ich hörte, wie Mary Lou wieherte, als Alex ihr nach dem Aufstehen als Erstes ihr Futter brachte. Für sie mußte es hart sein, die ganze Nacht bei dieser Kälte draußen zu sein, aber alle Versuche, sie mit irgend etwas abzudecken scheiterten immer an ihr. Allerdings sah sie heute ziemlich müde aus.
Der Tag fing auch gleich mit einer Enttäuschung an. Ich wollte zum ersten Mal unsere Wasserfilterpumpe ausprobieren und stellte fest, das sie gar nicht funktionierte. Und die Beschreibung war auch nicht mehr dabei. Wir vermuteten sie ganz stark bei Martin in Wuppertal, wo wir sie bei ihm im Badezimmer getestet hatten. Da hatte sie noch einwandfrei funktioniert. Und dann beging ich den allerdümmsten Anfängerfehler, den es gibt. Ich fühlte mich durch die späte Morgenstunde gehetzt, und da ich wußte, das wir noch genug Wasserreinigungstabletten hatten, und das Wasser hier im Gebirge sowieso klar war, packte ich die Pumpe so kaputt, wie sie war wieder ein. Ein übler Fehler.
Wir frühstückten, packten auf und waren erst kurz vor zwölf wieder auf unserem Weg. Wir wollten heute tiefer in das Gebirge eindringen, und dann wieder ein Basislager errichten, von dem aus wir dann den Schatz suchen konnten. Also folgten wir zuerst dem Lost Dutchman Trail nach Südwesten, um dann wenig später nach Westen zu schwenken, um über den Terrapin Trail hoch auf den Terrapin Pass, direkt südlich von Weavers Needle zu gelangen. Von hier aus wollten wir durch einen Canyon zum Bluff Saddle steigen und dann den Bluff Spring Trail bis zum Südausgang des Labarge Canyon gehen.
Der Weg war unglaublich schön. Er führte zwischen engen Felswänden und riesigen Felsbrocken hindurch, immer entlang eines Flusses, der sich einige Meter in sein felsiges Bett gefressen hatte und jetzt ungeheuer wildromantisch aussah. Kleine Wasserfälle und Gumpen machten das Bild fast zu perfekt. Wir trafen wie gewöhnlich eine kleinere Anzahl von Wanderern, und alle stimmten uns bei der Frage nach der Schönheit dieses Gebirges zu.



Dann jedoch erreichten wir den Weg, der uns über den Terrapin Pass bringen sollte. Im Wanderhandbuch über die Trails der Superstitions war der Pass als nicht für Pferde geeignet beschrieben. Nun, Gott sei Dank haben wir das Buch erst ein halbes Jahr nach unserer Tour durch Zufall in einer Buchhandlung gesehen und kurz durchgeblättert. Gelacht haben wir auch ein wenig. Mary entsprach einfach nicht ihrer Rasse. Dabei hatte ich beim Aufstieg zum Pass durchaus meine Bedenken oder Zweifel, ob ein Pferd diesen Weg schaffen könnte. Aber schon kurz nachdem es steiler wurde, ging ich weit hinter Alex und Mary Lou, und verlor sie bald zwischen den Felsbrocken aus den Augen. Ob ich nun darüber nachdachte, daß eigentlich ein so kleines Pferd nicht mit vollem Gepäck ohne Anlauf eine fast einen Meter hohe Stufe erklettern kann tat nichts zur Sache. Mary ging weit vor mir, also mußte sie es geschafft haben.
Alex hatte Mary Lou bis zum Fuß des Bergrückens geführt, und als ich ihn wiedersah, da saß er nassgeschwitzt und völlig am Ende oben auf dem Pass. Eigentlich sollte ich sie auf halbem Weg übernehmen, aber Mary Lou hatte ihn den ganzen Weg dermaßen geschoben, daß an einen Wechsel nicht gedacht werden konnte.
Ich war froh darüber, denn meine Knie machten sich wegen des hohen Gewichtes meines Rucksackes schon bemerkbar, aber Alex fand das gar nicht witzig. Er war ziemlich genervt, und nach einer Pause zu Füßen der Weavers Needle übernahm ich Mary Lou. Allerdings fiel mir ziemlich früh wieder ein zu filmen, so daß Alex wieder Pferdehirte spielen mußte.
Wer dachte, daß der Ausblick vom Pass die Attraktion des Tages war, der hatte sich geirrt, denn als wir Bluff Saddle erreichten, kam ich mir selbst wie in einem Film vor. Es war eine Kulisse, wie sie eigentlich nur in der Phantasie zu finden ist. Wilde Felsformationen, wohin man auch sah. Bizarr geformte Wände und Grate. Steine, die gegen jedes Naturgesetz aufeinander lagen. Ein unwirklich schöner Platz. Ich ergriff die Chance und kletterte auf einen dieser „schwebenden“ Steine und stand mit offenem Mund da. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich konnte gerade so über die nächste Felswand in den Nachbarcanyon sehen, und alles was ich sah, waren Felssäulen. Felssäulen in allen Variationen und Formen, Felsformationen ohne Zahl. Ein bizarrer Wald aus Felsen.
Ich kletterte zurück, um meine Entdeckung Alex mitzuteilen, aber der empfing mich mit einem ernsten Gesicht. Mary Lou hatte sich wieder verletzt, und blutete ziemlich stark aus einer Wunde an Hinterbein. Wir konnten die Wunde nicht richtig sehen, und außerdem waren wir kurz vorher noch durch einen Fluß gelaufen, ihre Beine waren also noch naß und das Blut verschmiert. Wir tupften die vermeintlich blutende Stelle mit Taschentüchern ab, und als kein neues Blut mehr kam, gingen wir weiter. Was hätten wir auch anderes tun sollen?
Alex aber war ziemlich aufgebracht über Marys Verhalten heute. Sie war völlig unkonzentriert und hypernervös. Keine Sekunde stand sie still, wenn man es wollte, und sie zog am Führstrick wie eine Wilde. Als sie ihm dann auch noch in einem Moment, in dem er ihr befohlen hatte, still zu stehen, auf den Fuß trat, da war alles vorbei. Noch nie in Leben habe ich Alex so ausflippen sehen.
„Stay, Mary Lou, stay, stay, schtayarrgh! Du...! Uiuiuiuiaaaah!“ Und dann hüpfte er herum wie Rumpelstilzchen, nachdem die schöne Königin dessen Namen erraten hatte.
Ich habe nichts gesagt, weil ich weiß, wie weh es tun kann, wenn einem ein Pferd auf den Fuß steigt, besonders, wenn man seine Füße braucht, so wie hier. Alex brüllte und fluchte laut, aber er hatte sich erstaunlich schnell wieder unter Kontrolle. Ich glaube, daß er wie ich wußte, daß die kalten Nächte sehr an Mary Lous Kräften genagt hatten. Sie brauchte mal wieder eine Pause. Aber es war nicht mehr weit bis zu unserem Lagerplatz, und wir erreichten ihn um fünf Uhr. Es war ein guter Platz, mit Bäumen und einigen guten Stellen für ein Zelt, und alles direkt an einem kleinen Creek.
Gegen Abend wurde die Idylle allerdings durch eine Horde junger Boyscouts gestört, die wie aus dem Nichts plötzlich vor uns standen und scheinbar damit gerechnet hatten, hier campen zu können. Wir schienen aber auf sie einen so abschreckenden Eindruck gemacht zu haben, daß sie nur kurz grüßten und dann wieder gingen, um ganz in der Nähe ihr Lager aufzuschlagen. Der Oberscout kam später zu uns rüber und erzählte noch etwas über die Minengeschichten aus der Gegend. Es war sehr interessant, vor allem, weil morgen ja der große Tag sein sollte, an dem wir auf Schatzsuche gehen würden. Meine Gedanken kreisten nur noch um das verlorene Gold, und mit einem gierigen Lächeln auf den Lippen schlief ich ein.

Der nächste Tag war ein Samstag. Wir standen erst spät auf, gegen neun. Die Pfadfinder hatten noch eine Nachtwanderung gemacht und waren mit einen Höllenlärm mitten in der Nacht zurückgekommen. Außerdem hatte Mary Lou in der Nacht Theater gemacht, so daß wir mit ziemlich dicken Augen auf unseren Frühstücks-Iso-Sitzkissen hockten. Die Scouts waren allerdings schon seit sieben Uhr wieder dabei, Radau zu machen.
Dennoch, der Tag versprach viel. Es war warm und sonnig, und die Luft knisterte vor Spannung. Nach einem genauen Studium der Schatzkarten, denn wir hatten vor, den Schatz anhand einer Karte und nicht durch die Worte eines sterbenden Lügners zu finden, stellte sich heraus, daß die mögliche Fundstelle der Mine viel weiter im Norden zu suchen war. Unsere Karten stimmten nämlich fast alle darin überein, daß sich die Mine im Needle Canyon befinden mußte. Das wußten wir aber schon vorher. In diesen Canyon konnte man aber nur von Norden hinein, da der Südrand zu steil war. Wie hatten wir das nur übersehen können? Theoretisch an der Luftlinie gemessen war der Canyon nicht mehr als etwa zwei Meilen entfernt. Praktisch jedoch wäre er gestern für uns einfacher zu erreichen gewesen, als heute. Wir fluchten, aber wir hatten keine andere Wahl, als es trotzdem zu versuchen.



Das bedeutete einen ziemlich harten Marsch über den Bluff Spring Trail durch den Labarge Canyon, über den Needle Trail in den vermeintlichen Schatzcanyon und dann zum zweiten Mal über den Terrapin Pass zurück zum Lager. Ein strammer Tag stand uns bevor, und anfangs kamen wir auch gut voran.
Aber das Wetter wurde immer heißer, und die üblichen Überquerungen der Flüsse am Canyongrund machten uns zu schaffen. Am Abzweig zum Music Canyon verliefen wir uns sogar.
Eigentlich muß man die ganze Zeit nur dem Trail folgen und an Flüssen auf aus Kieseln aufgeschichtete Steinmännchen achten, die einem den Weg weisen sollen. Hier aber war alles durcheinander. Irgendjemand hatte ein paar Steinmännchen zuviel aufgestellt und andere umgeworfen. Außerdem teilte sich der Trail und sah in die falsche Richtung mehr benutzt aus, als in die richtige. Wir verfielen natürlich dem Herdentrieb und gingen ebenfalls den vielbenutzten Trail. Aber schon bald bemerkten wir, daß wir in die falsche Richtung liefen und kehrten gehetzt um. Es wurde schon Mittag, und wir waren immer noch nicht reich. Die Uhr tickte.
Um Zeit zu sparen, verzichteten wir auf eine Mittagspause und liefen weiter, bis wir von unserer eigenen Geschwindigkeit überrascht am Anfang des Needle Trails standen. Ein winziger Creek hatte einen kleinen Pool gebildet, und wir nahmen die Einladung zu einem Bad dankend an.
Wir waren schon ziemlich verschwitzt vom hohen Tempo des Marsches und wollten den feierlichen Moment der Entdeckung der Mine sauber feiern. Der Creek mußte dran glauben. Mary Lou guckte skeptisch und peinlichst berührt, als sie uns nackte Kerle ins Wasser und ebenso schnell wieder heraus rennen sah. Kakakalt!



Und dann war es soweit. Wir erreichten den Eingang zum Needle Canyon. Hier mußte sie sein, die verfluchte Mine, nach der seit fast vierhundert Jahren unzählige Männer gesucht haben, und die früher, seit ca. 1748 von der spanischen Familie Peralta betrieben worden sein soll, bis diese von Apachen vertrieben worden waren. Niemand weiß genau, wie viele Männer auf der Suche nach dem sagenhaften Gold ihr Leben gelassen haben, man weiß nur, daß es viele waren. Hunderte. Knapp sechzig allein in diesem Jahrhundert.
Ich hatte gelesen, daß am Eingang zum Canyon eine alte Steinhütte spanischer Bauart stehen sollte. Nun, ich hatte ehrlich gesagt keinerlei Ahnung was spanische Bauart bedeuten sollte, und diese Frage sollte uns fürs erste auch unbeantwortet bleiben, denn wir konnten sie nirgends entdecken. Den in der Legende des Richard Holmes so wichtigen Bestandteil hatten wir also nicht gefunden. Aber wir vertrauten unserem Glück immer noch.
Also ließen wir die Stöberei nach der alten Bruchbude sein, schließlich waren wir wegen des  Goldes gekommen und nicht wegen der besonderen architektonischen Vielfalt der Superstition Wilderness. Ich vermute nämlich, aber das ist natürlich nur meine ganz persönliche Meinung, daß Gaudi keinerlei Einfluß auf die Gestaltung der Hütte gehabt hat, und sie deshalb besser unerwähnt bleibt. Meine Meinung. Wir widmeten uns den mitgebrachten Schatzkarten.
Nur eine einzige schien für uns mit den Gegebenheiten vor Ort hinreichend überein zu stimmen, und so studierten wir sie genauer. Es war die sogenannte Glenn Magill Karte. Ich wußte auch nicht, wer dieser Glenn Magill gewesen war, und es interessierte mich auch ehrlich gesagt nicht sonderlich. Zwar hätte ich gern etwas mehr über den Wahrheitsgehalt der Karte gewusst, aber sich jetzt darum zu kümmern, war eh zu spät. Und beteiligen wollte ich ihn an der Mine sowieso nicht. Aber seine Karte sah so aus, als ob er wenigstens einmal im Leben hier gewesen war.


(Die unglaubliche Glenn Magill Karte. Friede seiner Asche.)

Laut seiner Karte mußte die Mine an einem Hang im Needle Canyon liegen. Jetzt hieß unser Trail zwar Needle Canyon Trail, aber leider führte er nicht in den Canyon, sondern nur an ihn vorbei. Für uns hieß das, den Weg zu verlassen. Und viel zu gern taten wir das auch.
Also robbten wir durchs Gebüsch, drückten uns an Felsen vorbei und kletterten über umgestürzte Bäume. Mit Mary Lou. Für sie war das alles überhaupt nicht interessant. Sie trottete missmutig hinter uns durch das Gestrüpp und tat uns durch Blicke ihre Abneigung kund. Für mich aber ging ein Traum in Erfüllung. Der Needle Canyon! Er mußte es sein!
Während Alex sich noch um das Pferd kümmerte, das wir irgendwann auf einer kleinen grünen Lichtung zurücklassen mußten, konnte ich mich nicht mehr halten und rannte los.
Hier mußte die Mine irgendwo sein. Hier! Ganz in der Nähe! Noch nie im Leben war ich einem Schatz so nahe gekommen. Jedenfalls hätte ich nichts davon gewusst.
„Wo fange ich an zu suchen? Herrgottnochmal, wo ist denn diese scheiß Karte wieder hin? Ach, egal, ich finde das Gold auch ohne den Schnipsel Papier.“
Ohne auf die scharfen Stacheln der Sträucher und Kakteen zu achten, rannte ich weiter. Ich brauchte einen Aussichtspunkt, um die Gegend besser überschauen zu können.
„Höher, verdammt, ich muß höher!“
Ich kletterte immer weiter, und als ich alles überblicken konnte, da fing ich an, parallel zur Canyonwand zu laufen.
„Verflixt, man kann ja gar nichts erkennen!“
Obwohl die Landschaft kolossal war, und ich tatsächlich etwas Zeit fand, zu filmen und zu fotografieren, bekam ich nichts wirklich mit. Ich nahm kaum wahr, wie die Sonne durch die milchige Luft auf die Felsen strahlte und sich in dem kleinen Fluß unten im Canyon spiegelte. Es war ein außergewöhnliches Bild, aber ich war blind vor Gier.
Auf einmal sah ich hoch in der Wand über mir einen Eingang zu einem Stollen. Ein kleines schwarzes Loch im blassen Gelb des Felsens. Ein Loch, eine Öffnung, eine Offenbarung!
War das die Höhle, die Mine, der SCHATZ? Hatte Walzer nicht auch einmal gesagt, er müsse zu seiner Mine klettern?
Ich versuchte näher zu kommen, aber als ich an die Felswand gelangte, die mehr als 200 m senkrecht über mir empor reichte, da war Schluss. Klar, ich hätte die letzten 30 m zum Stolleneingang noch klettern können, ungesichert natürlich, aber ganz doof bin ich ja auch nicht. Ich überlegte hektisch.
Walzer soll bei seinem letzten Gang zur Mine über siebzig Jahre alt gewesen sein. Könnte ein solcher Mann noch eine Felswand erklimmen, vor der sogar ich mit 23 Jahren und 100°C Goldfieber zurückschreckte? Bestimmt nicht. Außerdem sollte es im Jahre 1887 ein Erdbeben gegeben haben. Eine Mine dort oben wäre sicherlich zerstört worden (Mal im Ernst, eigentlich hätten alle Minen dabei zerstört werden müssen, aber mit solchen Belanglosigkeiten wollte ich mich jetzt nicht beschäftigen.). Die Mine dort oben mußte also jünger sein, das stand für mich fest. Und überhaupt, welcher Spanier oder Indianer ist so bescheuert und sucht dort oben nach Gold? Also bitte. Außerdem sah ich am Eingang des Stollens seltsam abgebrochenes Gestein und tippte auf Sprengspuren. Ich hatte aber nie gelesen, daß Walzer Sprengungen gemacht hatte. Das wäre ja auch viel zu auffällig gewesen. (Daß diese Sprengspuren von späteren Schatzsuchern stammen könnten, war deshalb indiskutabel, weil dann ja schon jemand meine Mine gefunden hätte. Da dem aber nicht so war, konnte das da oben auch nicht meine Mine sein. Logisch.)
„Das ist sie nicht, Patrick, wirklich nicht! Sie darf es einfach nicht sein!“ Ich versuchte mich zu beruhigen. Aber ich hätte zu gern mal reingeschaut. Ich wußte nicht, ob ich enttäuscht war oder glücklich, als ich zu Alex ins Tal brüllte, daß ich wieder zurückkommen würde. Es war schon sehr spät, fast vier Uhr, und wir mußten noch den ganzen Weg über den Pass laufen.
Ich teilte Alex meine Entdeckung mit, als er plötzlich grinste und hinter seinem Rücken einen alten Eimer hervorholte und mir stolz präsentierte. Ein alter Eimer! Ein toller Fund! Ein wahrhaft königliches Souvenir! Er war groß und schwer, aber es bestand kein Zweifel: der kommt mit!
Wir bahnten uns einen Weg zurück durch das fast undurchdringliche Strauchwerk, als Alex, der einen etwas anderen Weg gelaufen war als ich, auch noch eine alte Schaufel fand. Wow! Absolut gute Trophäen, nur leider sehr, sehr schwer. Aber Alex wollte sie sogar selbst tragen, um sie mit zu nehmen. Er war nicht so ganz dem Goldfieber verfallen wie ich, sondern war viel mehr an anderen Dingen interessiert. Zum Beispiel an Werkzeugen. Daß er die Mine nicht finden würde, war ihm schon von vornherein klar gewesen, und so hatte er sich einfach auf das viel aussichtsreichere Suchen von alten Gegenständen verlegt. Und er hatte etwas gefunden! Ich dagegen war nur auf die Mine fixiert gewesen, von der ich zwar auch genau gewusst hatte, daß ich sie niemals hätte finden können, trotzdem war der Ehrgeiz mit mir durchgegangen. Ich ärgerte mich über meine Blindheit.
Wir liefen weiter durchs Gestrüpp  zurück zum Pferd, als es dann doch passierte:
Ich kletterte gerade über einen riesigen Felsbrocken, als ich an seinem Fuße etwas sah. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, was es war, das mich veranlasst hat, nachzusehen, zumal es immer später wurde, aber ich kletterte hinunter. Halb zog es mich, halb sank ich hin.
Zuerst sah ich nichts als ein paar tote Bäume, die wild übereinander lagen. Aber genau das war es. Warum lagen dort unten Baumstämme wild übereinander, wenn doch hier sonst fast nur Sträucher wuchsen? Jemand wollte etwas darunter verstecken! Was? Na, ganz klar: einen riesigen Schatz in einer alten Mine!
Hatte Walzer nicht einmal davon gesprochen, daß er die Mine mit Baumstämmen versiegelt hatte? Doch, hatte er! Ich wirbelte herum. Verdammt, ich konnte durch eine Spalte in der gegenüberliegenden Felswand Weaver’s Needle sehen! Ich hätte wirklich meinen Arsch darauf  verwettet, daß man von der Needle aus die Mine nicht sehen konnte! Mein Hirn war fast nicht mehr bereit zu glauben, was ich sah!
„Walzer, du alter Hurensohn, ich hoffe, du kannst mich aus der Hölle sehen, wie ich gerade deine verfluchte Mine stehle!“, kreischte ich heiser. Meine Augen begannen zu tränen. Mir wurde schwindelig.
Mit zittrigen Knien kroch ich näher. Scheiße, fuhr es mir durch den Kopf, war die Falle von der er gesprochen hatte vielleicht noch intakt? Schweiß stand auf meiner Stirn und lief mir in die Augen. Die unzähligen Kratzer auf meiner Haut brannten vor Salz, als ich durch die Holzstämme nach unten sah. Ein Gang! Verdammt! Ein Gang!
Als hätte mich der Blitz getroffen fuhr ich hoch. Ich hatte sie gefunden! Ich hatte die Mine gefunden! Meine Mine! Ich war reich! Ich war unermesslich reich! Ich konnte alles kaufen! Autos, Frauen, Inseln, alles! Ich war der Glückspilz! Mich hatten die Götter geküsst! Ich war es, der das Rätsel gelüftet hatte! Ich, Patrick Hahnrath! Und wenn ich jetzt keinen Kollaps bekommen würde, dann würde ich bestimmt irgendwann einmal an Herzverfettung in den Armen einer wunderschönen und ungeheuer teuren, vierzig Jahre jüngeren Frau sterben! Was ist das Leben ohne ein wenig Optimismus? Wow, mein Leben hatte endlich die entscheidende Kurve gekriegt!
„Herrgottnochmal, reiß dich zusammen! Das ist niemals die Mine. Wenn es so einfach wäre, sie zu finden, dann würdest du bestimmt nicht der erste sein. Du nicht!“, sagte eine Stimme in mir. Was ist doch das Leben ohne ein wenig Pessimismus und Schizophrenie? Aber dieser Tag war mein Tag, das wußte ich.
„Aaaaleeeex, komm mal schnell her, ich hab‘ die Mine gefunden!“
Ich weiß nicht, wo er vorher war, aber jetzt materialisierte er plötzlich neben mir.
„Was? Wo? Egal! Rein!“
Meine Kehle war trocken wie die Wüste Gobi, und meine Hände trieften wie die Viktoriafälle vor Schweiß. Mir war kalt und heiß zusammen, und ich mußte dringend mal aufs Klo. Meine Herzfrequenz lag deutlich über 500 Schlägen in der Minute und beschleunigte noch immer. Mein Biorhythmus war völlig aus der Bahn geworfen. Wenn jetzt jemand ‚buh‘ gesagt hätte, wäre ich zweifellos sofort tot umgefallen. Ich lief auf Höchsttouren.



Wir rüsteten uns mit Taschenlampen aus und krochen durch die Stämme in die Dunkelheit. Es war feucht und kühl, und als sich unsere Augen endlich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen wir, daß der Stollen schon nach etwa vier Metern zusammengebrochen war. Aus der Traum von der alten Mine.
Eigentlich gut so, denn solche Minengänge mit ihren verrotteten Stützpfeilern sind wahre Todesfallen, und wir waren auf dem besten Weg gewesen, kopflos vor Gier alles zu riskieren. Sogar die Erde am Eingang rutschte schon nach. Niemand hätte uns im Falle eines Falles je wieder gefunden. Aber wir waren trotzdem bitter enttäuscht.
Obwohl wir ja schon gelesen hatten, daß Walzer seine Mine nach dem letzten Besuch zugeschüttet hatte, hatten wir uns die Mine in unseren Träumen immer frei und begehbar vorgestellt. Niemand denkt bei dem Wort Schatz an echte Arbeit. Einen Schatz findet man einfach so, löst ein paar doofe Rätsel und ist sofort reich, oder man kämpft einen ganzen Eingeborenenstamm nieder und flüchtet dann mit Schatz und einer unbeschreiblich hübschen Blondine, die einem ihr ganzes Leben lang dankbar ist nach Rio de Janeiro. Aber mal ganz ehrlich unter uns: Niemand will doch wirklich für seinen Schatz richtig arbeiten und stundenlang irgendwelche Gänge freibuddeln, oder? Eben. Wir auch nicht.
Wir schossen noch einige Aufnahmen, ich verlor in der Aufregung noch meine Sonnenbrille und meine Taschenlampe, und dann machten wir uns auf den Rückweg. Ich fand noch einen eisernen Bohrkopf, aber der war wirklich zu schwer. Zur Feier des Tages überließ Alex mir seinen Eimer als Andenken an unsere Mine. Ich war stolz wie Oskar.
Erst kurz bevor wir wieder Mary Lou erreichten, bemerkte ich wie gesagt den schmerzlichen Verlust einiger meiner persönlichen Ausrüstungsgegenstände und lief wieder zur Mine zurück. Aber ich konnte den richtigen Weg nicht mehr finden! Ich hatte kaum noch Zeit zu suchen, zu spät war es geworden, und alles sah plötzlich wieder ganz anders aus. Es war verrückt: Die Mine war schon wieder verloren gegangen.
(Einschub: Sollten Sie, lieber Leser dieses Buches, auch auf die schwachsinnige Idee kommen, einmal die Mine zu suchen, und es tatsächlich schaffen sie zu finden, dann können Sie anhand der Sachen, die ich dort verloren habe feststellen, ob es sich um die echte, von uns gefundene Mine handelt oder nicht. Und dann können Sie mir die Sachen sicherlich auch zurückgeben. Vielen Dank im Voraus.)
Zwischenzeitlich beeilte ich mich aber ohne meine Sachen mit dem Rückweg, da Alex schon mit dem Pferd vorgehen wollte. Und die Sträucher machten es mir nicht gerade leicht, sie einzuholen.
So verließen wir also wieder unsere Lost Dutchman Mine. Wir hatten sie gefunden. Für den Bruchteil einer Sekunde waren wir unermesslich reich gewesen. Und wir hatten eine Schaufel und einen Eimer. Das war mehr, als uns zu hoffen erlaubt gewesen war. Und mehr wollten wir auch gar nicht. Behalte dein Gold, unwegsamer Canyon in den Bergen des Aberglaubens und schenke noch vielen anderen Träume von schnellem Glück und sagenhaftem Reichtum. Schenke ihnen goldene Träume aus einer längst vergangenen Zeit. So wie uns.
Aber hatte ich in meiner Wut über mich selbst wirklich verstanden, was heute passiert war? Heute war der Gipfel dessen gewesen, wovon ich so lange geträumt hatte. Ein schieres Wunder! Aber ich begriff es Gott sei Dank nur langsam.
Der Gedanke kam vorsichtig und leise. Er war der Stein im Ozean der Zeit, der langsam unter mir versank. Langsam aber unaufhaltsam. Die Zukunft spülte in die Vergangenheit hinüber. Manchmal wartet man sein ganzes Leben, und auf einmal ist morgen schon gestern.
Meine Angst vor dem Morgen ohne ein neues Morgen ist sehr groß. Was bleibt übrig, wenn ein Traum stirbt, und es keinen neuen gibt? Ich kann nicht von der Vergangenheit oder den Erinnerungen leben. Immer wenn ein Traum stirbt, macht sich Panik bei mir breit. Ich werde orientierungslos und blase Trübsal. Ich brauche Witterung wie ein Terrier. Ich brauche etwas, auf das ich wie ein Hund mit der Nase voraus zulaufen kann. Ohne Witterung weiß ich nicht, wohin ich gehen soll.
Vergangenheit und Zukunft berühren sich in der Gegenwart, und was eben noch sein wird, ist jetzt schon gewesen. Jede dieser drei Zeiten ist abhängig von den beiden anderen die sie bewirken und ihrem Dasein Berechtigung geben. Ohne Zukunft gibt es keine Vergangenheit. Ohne Gegenwart keine Zukunft. Alle drei Zeiten sind wichtig. Aber welche Zeit ist die Wichtigste? Ist es die Vergangenheit, die Sammlung all unserer Taten, Schlachten und Siege? Sie ist die beständigste, geduldigste und einzig ewige der drei Zeiten. Was einmal war, wird für immer Vergangenheit sein. Sie ist die einzige der drei Zeiten, die immer größer wird und nichts mehr wiedergibt, was sie einmal hat.  
Ist es die Gegenwart, die Zeit in der wir handeln, denken, leben, lieben und hassen? Sie ist die unmittelbarste unter den Zeiten, das Jetzt und Hier, aber auch die kürzeste und flüchtigste. Sie ist nur der kleine intensive Moment in dem wir sehen, riechen, schmecken, Entscheidungen treffen. Wir können sie niemals greifen oder den Moment ewig währen lassen. Sie ist der engste Teil der Sanduhr, durch den all das Geröll der Zeit hindurchlaufen muß.
Oder ist es doch die Zukunft, die ungewisse, immer frische Zeit, die uns neue Aufgaben und das Vergessen bringt? Die Zukunft ist der Bote unserer Sehnsucht. Bis wir die Geliebte wiedersehen, bis wir wieder gesund sind, bis zum nächsten Sommer. Der Zukunft gelten unsere Hoffnungen und unsere Ängste. Alles soll besser werden in der Zukunft. Wir atmen für die Zukunft, wir essen für die Zukunft, wir lernen für die Zukunft, wir arbeiten für die Zukunft. Ein Mensch, der seine Zukunft verlebt hat muß sterben, und nur ein Mensch mit neuer Zukunft darf leben. Deshalb glaube ich, daß die Zukunft die wichtigste Zeit für uns ist.
Die Zukunft. Für uns lag sie hinter der Wüste.
(Nachtrag vor dem Schlafengehen: Den Eingang zur Mine hatte ich von Weaver’s Needle aus nicht mehr sehen können...)



Der nächste Morgen brach an. Wir hatten geplant, dem Bluff Spring Trail bis zum Peralta Trailhead nach Süden zu folgen, dann auf dem Dutchman Trail nach Osten zu schwenken, um schließlich über den Coffee Flat Trail das Gebirge zu verlassen. Wieder eine recht muntere Strecke.
Wir beeilten uns mit dem Aufbruch und gingen gegen elf Uhr los. Und wir hatten wieder einen Fehler gemacht.
Wir hatten Mary Lous Gurte nicht nachgezogen, und schon nach 500 m, mitten bei einer Fluß- oder besser Creeküberquerung verrutschte der komplette Sattel samt Ausrüstung nach links.
Ich ging vor ihr und hatte gerade ein paar schnelle Schritte gemacht, um trockenen Fußes über den Bach zu kommen, als plötzlich ein Ruck durch den Führstrick ging. Ich drehte mich um und sah gerade noch, wie Mary nach links ins Wasser kippte und auf die Ausrüstung fiel.
Sofort war ich bei ihr und sah auch Alex aufgeregt auf sie zukommen. Mary versuchte kurz aufzustehen und ruderte dabei so heftig mit den Beinen, daß ich fast einen Tritt bekam. Dann lag sie still. Ich nahm ihren Kopf in beide Hände und versuchte, sie zu beruhigen, als Alex fluchte und schrie, sie sei genau auf die Gurtschnallen gefallen. Wie sollten wir jetzt das Gepäck von ihr weg bekommen? Es gab nur einen Weg. Ich zog mein Messer und reichte es Alex, damit er die Gurte zerschneiden konnte. Ich sah Mary an, und sie mich. Ich flüsterte, daß alles wieder gut werden würde, und daß wir sie da schon rausholen würden, aber ihr Kopf wurde immer schwerer und schwerer.
Ich fing an zu glauben, sie sei vielleicht auf einen Stein gefallen oder etwas anderes Spitzes. Ich flehte sie an, nicht zu sterben und schaute hastig zu Alex. Obwohl ich äußerlich ganz ruhig war, machte ich mir schreckliche Sorgen um das Pferd. Aber ich ließ mir nichts anmerken. Mein Hals verengte sich, und ich versuchte in Marys Augen etwas zu lesen, daß mich davon überzeugte, daß sie nicht sterben würde. Aber ihre Augen waren tiefschwarz wie immer.
Endlich hatte Alex die Gurte durchtrennt und zog die Packtaschen vom Pferd weg. Eigentlich hätte Mary jetzt aufstehen können, aber nichts geschah. Starb sie etwa doch? Mit einem riesigen Satz sprang ich über das Pferd hinweg, um es von der anderen Seite besser fassen zu können. Ich wollte sie über ihren Rücken drehen, damit sie mit dem Gefälle des Baches aufstehen konnte und nicht dagegen ankämpfen mußte. Aber es ging nicht. An ihren Rücken lag ein dicker Stein! Ohne Nachzudenken fing ich an, den Stein auszugraben.
Wild grub ich mit den Händen im Bachbett, um den Stein richtig zu fassen zu bekommen, und es funktionierte. Ich kniete in Wasser, hob den riesigen Stein aus dem Flussbett und schleuderte ihn weg. Dann packte ich Mary Lous Vorderbeine und drehte sie mit aller Kraft über ihren Rücken so rum, daß sie aufstehen konnte.
Alex packte ihren Kopf. Wasser spritzte, die Luft war voller Pferdehufe, aber sie stand auf. Sie schüttelte sich und ging Gras futtern. Ich atmete schwer und tief. Alex sah sich Marys Rücken an, aber alles war okay. Anderthalb Stunden später hatten wir die Gurte repariert und Mary wieder beladen. Es ging weiter, als ob nichts geschehen wäre.
Der Weg wußte einmal mehr, wie er uns begeistern konnte. Er schenkte uns herrliche Ausblicke und unglaubliche Felsformationen. Aber man muß auch für alles immer bezahlen, und so war der Weg schwer und anstrengend zu laufen. Vor allem das letzte Stück hinab zum Peralta Trailhead war die Hölle für das Pferd. Teilweise gab es über einen halben Meter tiefe Stufen im Fels, über die der enge Weg führte. Ich weiß nicht, wie sie das geschafft hat, aber sie hat es. Sie kletterte wie eine Gemse, und es schien ihr sogar zu gefallen.
Als wir am Trailhead angekommen waren, waren wir naß vor Schweiß. Wir füllten schnell einen Fragebogen zur Besucherstruktur der Superstitions für einen Studenten aus, wobei wir wahrscheinlich das arithmetische Mittel für die Entfernung zum Heimatort um gute 10 000 km erhöhten, und machten uns wieder auf den Weg. All die Wochenendausflügler hier gingen mir gewaltig auf den Keks. „Darf ich mal euer Pferdchen streicheln?“ Unser Pferdchen? Na, hör mal!
Der Trail war wieder mal von der engen Sorte und einmal kam uns eine Frau entgegen, die scheinbar von uns erwartete, daß wir ihr mit unserem beladenen Pferd Platz machten. Als dies aber nicht geschah, versuchte sie sich auf eine Kraftprobe mit Mary einzulassen, um sich den Weg frei zu kämpfen. Für so etwas hatte Mary aber gar keine Nerven und schickte die arme Frau kurzerhand den Abhang hinab. Wild mit den Armen rudernd fand sie an einigen Pflanzen Halt und kroch verbittert wieder nach oben. Hilfsbereit und freundlich half ich ihr beim Aufstehen und beim Einsammeln ihrer Habseligkeiten. Sie hatte einige Kratzer, sagte aber kein Wort, aber ich konnte mein Grinsen nicht unterdrücken, und so stürmte die Gute bald erbost weiter. Also, manche Leute...
Gegen Abend erreichten wir dann unser angestrebtes Ziel. Wir fanden einen Zaun quer über den Weg und beschlossen mit Blick auf den riesigen Bullen dahinter, vor dem Zaun unser Lager zu bauen. Mary Lou wollten wir aber in einen kleinen Corral in der Nähe sperren, damit sie sich ein wenig frei bewegen und sich lockern konnte.
Als wir schon bei Dunkelheit am Lagerfeuer über den heldenhaft schrecklichen Tag grübelten, hörten wir plötzlich ein lautes Krachen. Sofort waren wir auf den Beinen und rannten in Richtung Mary Lou. Wieder krachte es laut, und im Schein von Alex Taschenlampe sahen wir den Bullen, der gerade dabei war, sich durch den Holzzaun zu unserer Mary zu treten. Das konnte ja wohl nicht angehen!
Alex stürmte auf den Bullen zu in der Hoffnung, er würde durch die Taschenlampe geblendet werden und flüchten. Und zuerst tat er das auch. Ich rannte in der Zeit zu Mary, die sich im hintersten Winkel der Koppel versteckt hatte und führte sie Richtung Zelt.
Ich hatte gerade das Tor erreicht, da kam auch Alex schon wieder angelaufen. Der Bulle hatte die Initiative übernommen und verscheuchte jetzt uns. Wir verbarrikadierten das Tor hinter uns, und sahen den Bullen übelst gelaunt ein Affentheater veranstalten. Mit allem, was dazugehört. Schnauben, Dreck hoch werfen, Bocken und Brüllen. Wir waren froh, als wir im Zelt waren, und er uns nicht mehr sehen konnte. Vorher versorgten wir nochmals das Pferd. Das gestaltete sich allerdings jetzt etwas schwieriger, denn an der Stelle, an der wir campten, war der Abhang zum Bach zu steil für Mary. Ich kraxelte sage und schreibe sechs mal mit meinem Hut zum Wasser und zurück, bis Mylady ihren Durst gestillt hatte.
Der Bulle war ein Arschloch, das stand fest. Morgen früh würde er sich für sein ungebührliches Verhalten gegenüber unserer Dame rechtfertigen müssen. Morgen früh...

Mit Grausen erwachten wir am besagten nächsten Morgen. Der fiese Bulle hatte die halbe Nacht den starken Mann markiert und erst spät eingesehen, daß er mit dieser Meinung von sich völlig allein dastand.
Wir frühstückten und versuchten ziemlich cool und gelassen zu wirken. Da wir nicht mehr genug Brot hatten (und das, was da war ziemlich unter Marys Gewicht gelitten hatte, als sie ihr unfreiwilliges Bad im Creek genommen hatte, sprich platt und naß war), fingen wir an, die Scheiben zu rationieren und ausgiebigst Witze darüber zu machen.
„Hey, nimm doch noch mehr Marmelade, morgen mußt du sie dir auf die Hand schmieren!“
Oder: „Hey, nimm nicht soviel Brot auf deine Wurst!“
Wir veranstalteten noch eine gepflegte Badesession am Bach und wagten uns dann, Alex vorweg, ich mit Super 8 Kamera, Fotoapparaten und Mary Lou am Strick hinterher.
Wir spähten nach allen Seiten, blieben oft stehen, um zu lauschen, versuchten ganz leise zu gehen. Eins aber war klar: wenn der Bulle gekommen wäre, ich hätte alles gefilmt, und weiß Gott, er hätte sein blaues Wunder erlebt! Mein Film wäre der eindeutige Beweis im Mordfall Alexander Engels.
Irgendwann wurde uns das Versteckspiel aber zu blöd, und wir schlugen ein normales Tempo ein, worauf dann auch wieder der Sattel verrutschte, allerdings nicht so stark wie gestern, sondern nur leicht. Trotzdem sattelten wir ab und beluden Mary wieder neu, was für ausgesprochen gute Stimmung unter den Mitwirkenden sorgte.
Der Weg wurde jetzt sanfter, und die Berge gingen in Hügel über. Trotzdem bildeten sie noch ein wahnsinnig aufregendes Panorama um uns, und das Laufen viel relativ leicht, obwohl die Temperaturen ordentlich hoch waren. Wir nahmen Abschied von den Superstition Mountains und wandten uns in Gedanken schon der Wüste zu. Zum ersten mal hatten wir auch Probleme mit Wasser, das hier gar nicht mehr so ergiebig floss wie im Gebirge.
Irgendwann stoppte ein Geländewagen neben uns, und der Mann, der aus dem Fenster guckte machte sich erst einmal über uns lustig. Aber ihn wurde bald klar, daß wir uns keineswegs verlaufen hatten, sondern beinharte Burschen in einem schier unüberlebbaren Abenteuer waren. Er schien an unserer Story Gefallen zu finden und fragte uns, ob wir nicht mit ihm ein Bier trinken wollten, sein Haus wäre „right the next corner“. Klar wollten wir, in zehn Minuten wären wir bei ihm. Er lachte und fuhr weiter.
Wir erhöhten angetrieben vom Gedanken an ein kühles Bier unser Tempo nochmals und schwenkten an der nächsten Kreuzung von unserem eigentlichen Weg nach rechts ab. Zwanzig Minuten rannten wir einen Berg hoch, bis uns der Gedanke kam, der alte Knabe hätte sich vielleicht einen Scherz mit uns erlaubt. Tief betroffen über soviel Boshaftigkeit drehten wir wieder um und liefen zurück.
Eine halbe Stunde später erreichten wir Queen Valley, und das erste, was wir sahen, war ein Golfplatz mit Springbrunnen. Mit hochroten Köpfen hasteten wir vorüber, kritisch beäugt von einigen fein angezogenen Golfern.
Ich habe Golfer nie leiden können. Golf ist in meinen Augen pure Verschwendung von Geld, Zeit, Platz, Material und hier sogar von Wasser. Aber jetzt und hier wirkte es lächerlicher als je zuvor. Was für eine gottlose Sinnlosigkeit!
An der ersten Straßenecke wartete Achilles mit zwei kühlen Bieren auf uns. Right the next corner. Einfach an der nächsten Ecke, nicht am nächsten Abzweig rechts! Wieder hatten wir etwas über die Undeutlichkeit der amerikanischen Sprache gelernt.  
Wir banden Mary Lou am Zaun an, packten ab und setzten uns, nachdem sie mit einem Eimer Wasser versorgt war, und nachdem wir dreimal nachgeschaut hatten, ob an ihrem Platz auch nicht die giftigen Lupines Blumen wuchsen zu Achilles und dessen Freund Randy in den Schatten. Er hatte extra für uns noch Becks Bier gekauft, und es lief unsere ausgedörrten Kehlen wie Öl hinab.
Wir unterhielten uns zuerst oberflächlich mit ihm und seinem Freund Randy über unsere Tour, und wo wir herkamen, merkten aber nach einiger Zeit, daß die Zwei wirkliches Interesse hatten und fast froh waren, endlich jemanden getroffen zu haben, der auch auf Entdeckungstour war. Es gab ja auch sonst nur Golfer hier.
Achilles und Randy erzählten uns, daß sie, wenn immer es ihr Zeitplan erlaube, in ihre Jeeps stiegen, um mit noch ein paar anderen Kumpels durch die Gegend zu fahren. Dabei wollten sie schon Unglaubliches entdeckt haben. Zum Beispiel eine alte Postkutschen-Station aus dem letzten Jahrhundert, und eine alte Indianerruine, und natürlich haufenweise verlassene Minen. Außerdem wüssten sie einen guten Lagerplatz ganz in der Nähe, das wäre ideal, vor allem, weil wir dann auch noch zum Abendessen kommen könnten.
Damit es schneller ging, schlug Randy vor, er würde mir mit seinem Jeep schon mal einen Teil der Strecke für morgen zeigen, und Achilles wollte Alex den Campplatz zeigen.
Das ging uns dann doch etwas schnell, denn obwohl wir schon Pizzateilchen von Mrs. Cardinal serviert bekommen hatten, mußten wir noch ans Einkaufen denken. Brot war in den letzten Tagen zur Mangelware geworden. Und natürlich wollten wir auch nicht ganz unschuldig am Süssigkeitenregal vorbeigehen. Also kauften wir in einem kleinen Laden um die Ecke ein und verpackten die Sachen, bevor wir getrennt in die Autos stiegen.
Randy wollte mir zeigen, wo man vom Highway aus am besten in die Wüste abbiegen konnte, da wir nach einem Gespräch mit den beiden unsere Route ein wenig ändern wollten. Die beiden hatten uns nämlich erzählt, daß es an einem Ort namens Box Canyon eine alte, verlassene Goldmine gab. Nun, davon sollte es hier ja ziemlich viele geben. Das Besondere an dieser Mine war, daß es noch alle alten Gebäude gab, und es sollten sogar noch Werkzeuge herumliegen. Klar, daß wir uns das nicht entgehen lassen konnten. Auch nicht, wenn es einen kleinen Umweg bedeutete.  Die Stelle, die Randy mir zeigen wollte, hätte ich allerdings mit verbundenen Augen und tot gefunden. Es gab nämlich am Abzweig vom Highway ein Schild und eine Fahne.
Als wir wieder zurückkamen, sahen wir Alex und Achilles den Platz begutachten. Alex war wie immer sehr misstrauisch, akzeptierte aber dann die Stelle doch. Hätte er gewusst, was uns blühte...
Der Platz lag etwa eine halbe Meile weit von Achilles Haus am Fuße eines Dammes, der in Regenzeiten den oft sehr mächtigen Oberflächenabfluss regeln sollte. Das Areal war umzäunt, allerdings in einem so riesigen Bogen, daß man ihn gar nicht wahrnahm. Aus dem Damm kam ein kleiner Fluß geströmt, der sich aber schon wenige Meter dahinter wieder teilte und unseren Lagerplatz von drei Seiten umschloss. Direkt hinter dem einen lief eine Piste, gut durch Bäume abgedeckt, und hinter dem anderen Bach begann schon die Wüste.
Da Achilles unser Gepäck mit dem Auto mitgenommen hatte, luden wir aus und begannen, unser Lager aufzuschlagen. In Windeseile wuschen wir uns im Fluß und wurden knapp eine Stunde später schon wieder von Achilles abgeholt.
Mrs. Cardinal war sichtlich erfreut darüber, daß wir uns ein wenig frisch gemacht und unsere Hüte im Zelt gelassen hatten. Dafür bewirtete sie uns mit leckeren chinesischen Teigröllchen, einer Gemüsepfanne und Hackfleischsteaks. Und natürlich mit Bier. Denn Deutsche trinken immer Bier.
Achilles trank Whiskey und wurde immer redseliger. Irgendwann fing er an, über die Lost Dutchman Mine zu sprechen. Er war der Meinung, daß das ganze Gerede um die Mine nur erstunken und erlogen war. Walzer hatte in seinen Augen entweder mit Gold gehandelt, das er in den Bergen Banditen abgekauft hatte, oder er hatte einen spanischen Schatz gefunden. Sonst hätte er ja auch ganz leicht einen Claim beanspruchen können (Walzer war urkundlich niemals US-Bürger geworden und hatte somit kein Recht auf einen Claim. Anm. des Autors.). Außerdem war Walzer als armer Mann gestorben. Von einer Mine konnte also keine Rede sein. Das Ganze sollte nur noch hochgejubelt werden, damit Touristen angelockt werden würden. Es sei nur ein gut zu vermarktendes Märchen und nichts weiter.
„Allerdings weiß ich, wo man trotzdem Gold in den Bergen finden kann. Viel Gold!“, sagte er plötzlich und holte einige Blätter Papier heraus. Diese Blätter waren Fotokopien der berühmten Peralta-Schatz-Steine. Auch ich hatte sie im Zuge unserer Vorbereitung schon des öfteren gesehen, aber für zu kompliziert gehalten. Kompliziertes Gold übte keinen Reiz auf mich aus. Außerdem hatten sie mit der Mine direkt nichts zu tun.
Bei den Steinen handelt es sich um zwei etwa DIN A 4 große Steinplatten, die auf jeweils beiden Seiten Zeichnungen tragen. Auf einer der Steintafeln ist in der Mitte ein großes Herz geritzt, in dessen Mitte eine Linie mit achtzehn Punkten läuft. Nach Cortez, der einmal Montezuma auf die Frage, warum er nach all den Geschenken, die er erhalten hatte nicht genug habe, geantwortet haben soll, daß Gold die Krankheit des Herzens sei, symbolisiert das Herz für die Spanier den Schatz oder Gold allgemein. Mann, ich war dem Herzinfarkt nahe.











Achilles deutete auf ein Zeichen am Rande des Steines, das aussah, wie ein M mit einem zusätzlichen Strich. M bedeutet Jesus, die drei Ecken, an denen sich die vier Striche treffen stehen für die Dreieinigkeit. Die durch den zusätzlichen Strich entstehende Ecke steht für den Evangelist Johannes, da er als Jünger Jesu beim Abendmahl neben ihm gesessen hat. Verschiedene Zahlen, die über die gesamten Steine verteilt sind ergeben den Vers, unter dem man in der Bibel nachsehen muß.
Auf dem anderen Stein ist auf einer Seite ein Pferd gezeichnet. Wichtig ist jedoch nur der Kopf, der eine Felsformation in den Superstition Mountains darstellt. Um das Pferd herum sind zwei Sprüche in Spanisch eingeritzt, die jeweils in Doppelreihen geschrieben sind. Dreht man den Stein um 180 Grad, so werden aus dem Buchstaben A Pfeile, die auf Buchstaben hindeuten. O für Null und B für Acht. Wieder sind Bibelzitate zu suchen.
Irgend etwas schien mir jetzt komisch zu werden, denn Randy wurde nervös und tat so, als ob er total müde wäre. Ich schaute verächtlich auf die Uhr. Zehn nach elf! Doch dann erschrak ich auch. Himmel, die Zeit war wie im Flug vergangen, und Mary stand noch immer draußen im Garten! Eigentlich war es ihr ziemlich egal, wo sie stand, aber leider nicht dem Garten. Obwohl ich ziemlich neugierig geworden war, und ich Achilles noch Wochen hätte zuhören können, verabschiedeten wir uns, latschten noch kurz zum Telefon für ein Gespräch mit der Heimat und wollten dann zum Zelt.
Wir hatten noch ein paar Probleme mit dem Zaun, denn auf der Straße lag ein sogenannter Cattleguard, ein Weidenrost, der verhindern soll, daß Vieh aus dem eingezäunten Bereich läuft. Ein Tor gibt es meistens nicht, um den Straßenverkehr nicht zu beeinträchtigen, und die Kühe trauen sich nicht über die Gitter, aus Angst sich die Beine zu brechen.
Nun, wir waren keine Kühe, und wir waren auch keine Autos. Und wir kamen nicht über dieses Ding drüber. Nicht mit Mary Lou. Wir dachten schon, es gäbe vielleicht für Amerikaner keine andere Möglichkeit als Kuh oder Auto, als wir völlig verzweifelt eine Möglichkeit fanden, den Zaun an der Seite zu öffnen. Es war eigentlich ganz einfach, aber an den Tag fing ich an, Zäune zu hassen. Und ich habe nie einen Grund dafür bekommen, dies wieder sein zu lassen.
Wir versorgten Mary noch einmal richtig und banden sie, weil nur ein altes, rostiges Gerüst da war, und wir keine Möglichkeit hatten, eine richtige Laufleine zwischen zwei Bäumen zu spannen, an ein langes Seil. Das Seil ließen wir auf dem Boden liegen. Es war lang genug, damit sie am Bach saufen konnte, und kurz genug, um sie nicht in unmittelbarer Nähe des Zeltes und ihres Futtersackes zu wissen. Und schon wieder hatten wir einen Fehler gemacht. Aber wir gingen Schlafen.
Irgendwann in der Nacht wurde ich kurz wach, als Alex das Zelt verließ. Ich dachte mir nichts dabei, denn es kam jede Nacht vor, daß mindestens einer von uns Pinkeln mußte, oder nach dem Pferd sehen wollte. Also drehte ich mich um und schlief wieder ein.
Ich schreckte keine zwei Minuten später hoch. Hufgetrappel! Verdammt! Was war los? Das war doch wohl hoffentlich nicht unser Pferd, das da gerade am Zelt vorbei galoppiert ist! Und warum läuft der Kerl nicht hinterher? Warum nicht? Bitte, bitte, lass das nicht unser Pferd gewesen sein!
Ich saß aufrecht im Zelt und wartete darauf, daß mir jemand sagte, ich solle bitte aufwachen. Statt dessen sagte jemand, den ich gut kannte: „Patrick, ist vielleicht besser, du kommst mal raus!“
Nein, dachte ich, das kann doch gar nicht wahr sein! Nicht das, alles, aber nicht das! Ich war so hundemüde, daß es mir weh tat, die Augen zu öffnen.
Ich zog mir halb betäubt meine Bergschuhe an, vergaß die Socken und rannte aus dem Zelt. Wild leuchtete ich mit meiner Taschenlampe, die ich neu von Achilles geschenkt bekommen hatte um mich. Da sah ich Alex am Gerüst stehen. In Unterhosen, genau wie ich, und mit offenen Schuhen, auch genau wie ich, starrte er fassungslos in die Dunkelheit. Klar, daß er nicht laufen konnte. Und er hielt immer noch das Seil in der Hand.
„Wo ist der verdammte Gaul?“, fragte ich ziemlich überflüssig.
„Weg! Da lang.“, und er deutete in die Dunkelheit.
Er war aus dem Zelt gekrochen, weil er Mary Lou ziemlich laut hatte schnauben hören. Als er aus dem Zelt kam, hatte er gesehen, daß sie sich in ihrem eigenen Seil dermaßen verfangen hatte, daß er gezwungen war, ihr den Strick vom Halfter los zu machen, um sie zu befreien. Dann hatte er versucht, das Seil zu entwirren. Dabei hatte er festgestellt, daß ihr rechter Hinterhuf mit ihrem Eisen im Seil eingeklemmt war. Sie merkte es auch und geriet in Panik. Sie riß sich los, verlor dabei ihr Eisen und galoppierte vor Schmerz davon.
Da standen wir zwei Helden also in Unterhosen und mit ziemlich blöden Gesichtern. Wir machten uns sofort auf die Suche, versuchten ihren Fußabdrücken zu folgen, liefen jeden Weg zweimal, trennten uns, um in verschiedene Richtungen zu laufen, aber es war unmöglich. Wir suchten über eine Stunde bei völliger Dunkelheit und Kälte, bis wir beschlossen, auf Tageslicht zu warten. Völlig durchgefroren legten wir uns wieder hin.
Bei einsetzender Dämmerung kurz vor sieben kletterte ich bereits bewaffnet mit meinem Fernglas den Damm hinauf, um erhöht einen besseren Blick zu haben. Unsere einzige Hoffnung war, daß Mary innerhalb des Zaunes geblieben war, und nicht in Panik über die Cattleguards gesprungen war. Dem Biest war alles zuzutrauen. Aber selbst innerhalb des Zaunes war genug Platz, um tausend Pferde so zu verstecken, daß sie niemand mehr wiederfand.
Ich erreichte den Dammgrad und hielt angestrengt Ausschau. Nichts, verdammt! Sei nicht über den Cattleguard gesprungen, bitte nicht! Dann wäre es das für diese Tour gewesen. Nicht über den Cattleguard!
Durch das Fernglas konnte ich erkennen, wie sich ein Auto unserem Zelt näherte. Es war Achilles, der mir noch ein Buch bringen wollte, das ich gestern bei ihn vergessen hatte. Er hielt an, und ich sah, wie Alex mit ihm sprach. Kurz darauf stiegen sie zusammen in den Jeep und fuhren die Straße zu mir hinauf. Achilles wollte uns natürlich helfen, unser Pferd zu finden, und wir waren froh darüber.
Wir suchten noch eine weitere Stunde und fuhren alle möglichen Straßen und Wege ab, bis wir einen Cowboy mit einem Trailer trafen und ihn fragten, ob er hier irgendwo ein weißes Pferd gesehen hätte. Wir kamen uns ziemlich tölpelhaft vor, einfach so unser Pferd zu verlieren, und der Gesichtsausdruck dieses Cowboys, der lässig an seinem Wagen stand machte uns kein besseres Gefühl. Der Cowboy sagte nicht viel, sondern deutete nur in eine Richtung, wo wir Mary schließlich im dichtesten Gebüsch grasend fanden. Sie war nicht mal überrascht, uns zu sehen.
Der Cowboy beachtete uns gar nicht weiter, als wir versuchten, Mary zu fangen. Dabei war es wirklich filmreif. Ich wollte gerade über ein Gatter klettern, das ich in meiner Eile für abgeschlossen gehalten hatte, als es plötzlich unter mir aufsprang. Mit meinem allerdümmsten Gesichtsausdruck begann ich auf dem Tor sitzend, hin und her zu schaukeln und mit den Armen in der Luft rudernd Halt zu suchen. Dabei fiel auch noch mein Hut in die einzige Pfütze weit und breit. Die totale Slapstick-Nummer. Der Cowboy erkannte meine peinliche Lage und kam herüber.  Er muß uns für die Großstadt-Oberdeppen schlechthin gehalten haben. Was für eine Blamage!
Wir untersuchten Marys Bein. Sie hatte einen Schnitt vom Seil oberhalb des Hufes und sich einen kleinen Teil des Hufes selbst mit dem Eisen abgerissen. Wir brauchten einen Schmied und einen Arzt. Alex rief Pat an, und die erwies sich wieder als perfekt. Klar, kein Problem, sie schickt jemanden vorbei. Locker bleiben, Jungs.
Achilles hatte die Zeit genutzt, um seiner Frau zu sagen, wie gern wir zum Frühstück bleiben würden. Da konnten wir natürlich nicht nein sagen. Und ich brauchte wirklich einen Kaffee. Beim Frühstück teilte er uns dann auch noch freudig mit, daß er sich den Tag frei genommen hätte, und uns ja jetzt, wo wir auf den Schmied warten würden, etwas zeigen könnte. Ich hatte meine Kameras im Anschlag. Wir stiegen in sein Auto und fuhren zuerst einen Teil des Weges zurück, den wir schon gestern im Schweiße unseres Angesichts entlang gerannt waren.
Wir erreichten bald einen Felsen, den wir auch gestern gesehen hatten. Elephant Butte. Eine Felsformation, die wie der Name schon sagt, wie ein Elefant aussieht. Und das ist kein Scherz. Er war perfekt. Ein liegender Elefant mit zwei Ohren, Rüssel und Augen. Hier sollten spanische Hieroglyphen zu finden sein, die näheren Aufschluss über den Schatz geben sollten.
Bei dem Schatz handelt es sich allen Berichten nach um Kirchen- und Missionsschätze der Jesuiten, die als erste weiße Missionare nach Amerika gekommen waren, um die ungläubigen Indianer zu bekehren. Obwohl Leute des Geistes, bekamen sie schnell mit, daß mit Hilfe der kundigen Indianer reiche Goldvorkommen  sehr gut zum Heile des Herr ausgebeutet werden konnten. Da sie recht verträgliche Leute waren und die Indianer bald auf ihrer Seite hatten, häuften sie in Laufe der Zeit großen, gottgefälligen Reichtum an.
Ihr Schatz, bestehend aus unermesslich wertvollen Kirchenintarsien, goldenen Glocken (z.B. in der Tumacacori Mission), und ganzen goldenen Altären wird heute auf ca. 600 Mio. Dollar geschätzt. Sie hatten viele reich und kunstvoll geschmückte Missionen im damaligen Mexiko errichtet, das zu der Zeit noch aus weiten Teilen der heutigen südwestlichen USA mit Arizona, Texas und sogar Kalifornien bestand.
1767 wurden die Jesuiten dann aber vom spanischen König Carlos als abgesetzt betrachtet und durch den Franziskanerorden ersetzt. Die Jesuiten hatten ihre Entmachtung allerdings schon lange vorausgesehen und den größten Teil ihres Schatzes versteckt. Auf teilweise gigantischen Zügen schleppten sie das schwere Gold mit Hilfe ihrer indianischen Freunde und Sklaven in die Berge, um es dort zu vergraben bis zu dem Tag, an dem sie wieder zurückkehren würden.
Nun, sie sind nicht mehr zurückgekehrt, und das Gold, daß man im Laufe der Zeit gefunden hatte stammt größtenteils aus Verstecken, die die Jesuiten aus Angst vor Angriffen feindlich gesinnter Indianer angelegt hatten. Es handelt sich dabei zwar auch um unermesslich wertvolle Gegenstände, aber eben nur um kleinere Teile. Der Hauptschatz, der irgendwo in den Bergen des Aberglaubens vergraben sein soll, ist nie gefunden worden. Und selbst, wenn man wüsste, wo er sei, wäre die Chance, ihn zu bergen mehr als klein.
Diese Spanier, so erklärte Achilles, sollten begnadete Bergbauer gewesen sein und ihre Methoden, ihre Schätze zu schützen machen noch heute selbst die modernste Technik lächerlich. So gibt es Legenden darüber, wie die Jesuiten einmal einen Tunnel von hinten durch einen Berg getrieben hatten. Nach genauesten Berechnungen legten sie einige Meter vor der Vorderwand des Berges eine Kammer an, die sie mit Gold füllten. Dann ließen sie den Gang, den sie gegraben hatten einstürzen und machten die Einstiegsstelle unkenntlich. Wenn sie nach einigen Jahren den Schatz wieder bergen wollten, dann mußten sie einfach einige wenige Meter durch die Vorderwand graben, die immer noch völlig unversehrt war. Niemand anderes als sie selbst würde den Schatz jemals wieder finden. Er ist für immer verloren.
Auch wenn es heute noch zahlreiche Schatzkarten und Wegweiser aus der damaligen Zeit gibt, nur die spanischen Jesuiten von damals konnten sie lesen und die geheimen Zeichen deuten. Zudem sollen die Jesuiten zahlreiche tödliche Tricks und Kniffe gekannt haben, um zu bewahren, was ihres war. Teilweise neigten sie dabei zu durchaus nicht ganz frommen Finessen.
Im Falle eines unterirdischen Stollens zum Beispiel, den man natürlich nach Einlagerung des Schatzes wieder mit Erde zuschüttete, wurden Nebenkammern angelegt, die mit lockerem Sand gefüllt wurden. Sollte sich nun ein unwissender Geist grabend in Richtung Schatz bewegen, dann würde unweigerlich der Sand aus den Nebenkammern nachrutschen und die Höhle füllen. Eine tödliche Falle. In anderen Fällen ist davon berichtete worden, daß es durch unachtsames Graben zu Felsstürzen gekommen sei. Auch eine Methode der Jesuiten, die Schätze zu beschützen.
Doch zurück zu unserem Schatz. Uns stellte sich nämlich im Moment nicht so sehr die Frage, wie wir den Schatz ausgraben sollten, als vielmehr die Frage, wo er überhaupt lag. Aber wir waren zuversichtlich. Eigentlich dürfte es nicht ganz so schwer sein, einem Trail zu folgen, den ca. 600 Jesuiten mit Hunderten von Pferden und Lasteseln benutzt haben. Auch, wenn es schon mehr als 200 Jahre her ist. Das Land war wie heute auch Wüste, und man brauchte eine ganze Menge Wasser. Die Strecke mußte sich also an größeren Wasservorkommen orientieren. Außerdem mußte man sehr große Lager errichten, die auch verteidigungsfähig gewesen wären, vielleicht sogar mit einer kleinen Mauer oder einem Corral für die Tiere. Die verfügbaren Möglichkeiten hierfür waren schon naturbedingt sehr begrenzt. Das Land wies mit seinen natürlichen Gegebenheiten von selbst den Weg.
Die Priester brauchten Unmengen an Brennstoff für sich und Futter für die Tiere. Vielleicht starben einige der Menschen auf dem anstrengenden Marsch und den schwierigen Grabungsarbeiten. Man müßte also Gräber finden können. Der kleinste Hinweis würde schon genügen, zumal die grobe Richtung längst bekannt war.
Aber es war noch viel einfacher, als wir gedacht hatten. Die Jesuiten waren nämlich einem ihrer bekannten Handelswege vom heutigen Tucson aus nach Norden gefolgt, dessen Markierungen noch heute deutlich sichtbar sind. Diese Markierungen bestehen aus fast allem, was sich ein phantasievoller Tüftler, oder ein in der Wildnis lebender Mönch ausdenken kann. Am meisten hat man sich der riesigen Saguaro-Kaktee bedient, die man an bestimmten Stellen einfach abgesägt hat. Ein abgesägter Kopf zum Beispiel bedeutet gerade aus, und je nachdem, wie die Arme gestaltet worden sind, geht es nach rechts oder links.
Kerben stehen für Entfernungen oder Abschnitte. Manchmal sieht man grotesk verdrehte Saguaros, dann deuten ihre Arme auf etwas hin. Zum Beispiel sahen wir später auf unserer Tour durch die Wüste einen Saguaro, der mit drei Armen auf seinen Kopf deutete. Jetzt hätte man den nächsten Berg besteigen müssen.
Saguaros sind riesige Kakteen, die fast überall zwischen Tucson und Phoenix zu finden sind. Sie tragen noch immer die Zeichen, die ihnen die spanischen Mönche in die Rinde ritzten. Saguaro-Kakteen können über 300 Jahre alt werden. Sie können. Müssen sie aber nicht. Und es sind schon fast 250 Jahre seit der Jesuitenvertreibung vergangen.
Auf dem Weg zum Elephant Butte erzählte Achilles über diese Zeichen und zeigte uns einige der abgesägten Kakteen. Gesehen hatten wir sie auch schon, aber wir hatten es für Vandalismus oder Naturgewalten gehalten. Und nicht für einen alten Schatztrail.
Wir stoppten am Butte und Achilles kletterte über den Zaun. „Das hier ist privates Land. Die wissen schon warum.“, sagte er mürrisch. „Und ich weiß es auch.“
Nach wenigen Metern erreichten wir den Felsen, und Achilles kostete den Moment voll aus. Zuerst zeigte er uns einen Stein, der aussah wie ein Herz. Allerdings nur am Mittag. Sonst steht die Sonne anders, und das Schattenspiel macht den Stein unkenntlich.
Danach deutete er auf einige, etwa zwanzig Zentimeter im Durchmesser reichende Löcher im Felsen. Hier sollen die Spanier das Goldgestein zum Abkühlen hineingeschüttet haben. Das Gold sollte sich unten abgesetzt haben. Achilles war noch nicht ganz zu Ende, da lag Alex schon an einem der Löcher und fühlte nach Gold. Vielleicht hatten sie ja was vergessen.
Nun machte Achilles es aber richtig spannend. Anstatt uns endlich zu den vermaledeiten Hieroglyphen zu führen, führte er uns zu einem großen Stein. Er schien auf irgendeine Reaktion zu warten, und als die ausblieb, erklärte er.
Vor uns war ein weiteres spanisches Zeichen. Ein großer Stein lag auf einem kleinen Stein. Ich wußte nicht so recht, was ich davon halten sollte, aber er zeigte uns, daß es sich hierbei wirklich um ein spanisches Wegezeichen handelte. Auf der Oberseite hatten sie nämlich eine Kerbe gezogen, die exakt nach Südwesten zeigte. Warum, das wußte er auch nicht, aber er würde es schon noch raus bekommen.
Jetzt hatte ich aber genug. Wenn er jetzt nicht sofort diese blöden Hieroglyphen...
„Und da drüben könnt ihr die spanische Zeichen sehen, von denen ich euch gestern erzählt habe.“
Ha! Na, endlich! Da waren sie! Ich stolperte vorwärts und rannte zur Felswand. Boy, great! Aber natürlich viel zu wenige für meinen Geschmack.
Auf der Sonne zugewandten Seite eines großen Felsbrockens waren verschiedene Zeichen eingeritzt. Man konnte eine Sonne erkennen, einige Figuren, die wohl biblische Personen darstellen sollten, einige Tiere und Zahlen.
Achilles begann wieder zu erklären. Die Sonne symbolisiere wieder den Schatz, da sie ebenso wie der Schatz golden wäre. Das Dreieck daneben stünde für Spanier, und die Zahlen deuteten wieder auf Bibelstellen hin. Es waren die gleichen, wie sie auch auf den Peralta–Stones zu finden waren. Daneben waren die verschiedenen Tiere gezeichnet. Ihre Bedeutung kannte er aber nicht.
Dies war für ihn aber der Beweis, daß hier der Weg zum Schatz entlang führen würde. Sogar ich, der ich ihm jetzt fast alles geglaubt hätte, was irgendwie mit Gold zu tun hatte, wurde etwas skeptisch.
Was? Das sei alles, worauf er sich stütze? Darauf hatte er sechzehn Jahre Suche verschwendet?
Aber er war natürlich kein Dummkopf, niemand wie ich, der ohne Erfahrung auf der Suche nach Gold mit einem dreißig Jahre alten Gaul durch die Wüste latschten würde.
Mit einem wissenden Lächeln stieg er wieder in seinen Jeep und fuhr mit uns noch etwas weiter. Er hatte es mit kritischem, wirklich interessiertem Publikum zu tun, und das wußte er. Ihm war klar, jetzt mußte er die Katze aus dem Sack lassen oder sich blamieren. Also ließ er es krachen.
Er ging mit uns einige Meter an einem abgesägten Saguaro vorüber und blieb dann stehen. Er deutete auf den gegenüber liegenden Berghang. Kaum erkennbar war dort eine helle Stelle im ansonsten bewachsenen und dunkelgrauen Hang zu sehen. Mit unserem Fernglas ging es besser. Wir sahen ein kleines Dreieck in die ansonsten raue Felswand eingemeißelt. Ganz eindeutig von Menschen gemacht. Und fast unsichtbar. Nur wer wußte, wonach er suchen mußte, konnte dem Trail folgen.
Das Dreieck lag auf der Seite, wenn man so etwas von einem Dreieck sagen kann, d.h., es zeigte mit der längeren und schärferen Spitze in eine bestimmte Richtung, während die anderen beiden Spitzen nur nach oben und unten deuteten. Es war ganz offensichtlich, daß man der längeren, schärferen Spitze folgen mußte. Sie stellte eine Art Pfeil dar.
„Das fünfte Zeichen!“, sagte er kurz und wartete auf unsere Reaktion.
Was? Woher er das schon wieder wüsste? Und überhaupt!
Aber das war sein großer Auftritt, und er genoss ihn sichtlich. Er wußte, er hatte auf jede Frage eine Antwort. Er war sicher. Er sagte: „Okay, dreht euch mal kurz um und zählt die Ritzen auf dem großen Saguaro dort drüben!“
Wir drehten uns um und sahen einen riesigen Saguaro, der aussah, als ob er in einen Mixer geraten war. Er war über und über mit Einritzungen versehen, die aussahen, als ob ihn jemand mit einer Machete bearbeitet hatte.
Ich begann, etwas lustlos zu zählen. Es war schwierig, sich nicht zu vertun, und ich war mir nicht ganz sicher, ob ich alle gezählt, oder den einen oder anderen doppelt genommen hatte. Um sicher zu sein, zählte ich lieber zweimal. Aber es kam immer die gleiche Summe heraus.
Eins, zwei, drei... zwölf, dreizehn. Dreizehn, na und? Achilles lächelte. Dreizehn! Mir lief es kalt den Rücken herunter. Dreizehn! Das fünfte Zeichen! Verflucht! Dreizehn plus fünf gleich achtzehn! Achtzehn Zeichen bis zum Schatz! Der Schatz! Himmel, er war so nah! Nur noch dreizehn Zeichen mußte ich finden, und ich wäre unermesslich reich. Ich könnte mir alles kaufen! Alles! Ich könnte...
Achilles erklärte, er hätte insgesamt neun der Zeichen gefunden, wäre aber bis zum elften Zeichen gekommen, zwei habe er nicht gefunden. Und dafür hatte er sechzehn Jahre gebraucht! Ich konnte mir plötzlich gar nichts mehr kaufen.
Außerdem, so erzählte er uns, wäre der Schatz wahrscheinlich auf den Gebiet des Nationalparks in Norden und damit sowieso unantastbar. Dort sei es nämlich verboten, zu graben. Und wenn nicht, dann müßte man sich das Land, auf dem man graben wolle kaufen. Mindestens aber 400 Acres für jeweils 1000 Dollar. Das wären dann allein schon 400 000 Dollar nur für das Land. Dann kämen noch Maschinen und Arbeiter hinzu, und natürlich Renaturierungsmaßnahmen für das zerstörte Land. Bevor man also überhaupt daran denken könne, den Schatz zu heben, sei man schon zwei Mio. Dollar los. Und vorausgesetzt, man findet den Schatz, kämen dann die Steuern auf einen zu. 15 Prozent hätte dann gern Vater Staat. 15 % von 600 Millionen sind immerhin 90 Millionen. Und die will er in Dollar, nicht etwa in Golddublonen. Woher soll man das Geld nehmen? Selbst, wenn man reich ist, hat man noch lange nicht die nötigen Dollars. Man muß erst Käufer für den Schatz finden, und das ist mehr als schwer. Wer hat schon 600 Millionen Dollar? Aus der Traum vom Schatz.
Aber die Suche bleibt spannend. Auch ein noch so kompliziertes staatliches Steuersystem wird es nicht schaffen, den Traum vom Schatz in Paragraphen und Absätzen zu ersticken. Paragraphen und Gesetze sind machtlos gegen die Besessenheit eines wahren Schatzsuchers.
Auf dem Rückweg zeigte Achilles uns noch einige alte Mineneingänge, die aber alle schon nach wenigen Metern eingestürzt waren. Gott sei Dank, den diese Dinger sind wirklich gefährliche Fallen. Aber Achilles konnte das Ereignis des fünften Zeichens nicht mehr toppen.
Achilles brachte uns zurück zum Haus, und wir sahen, daß Mary Lou schon versorgt war. Sie hatte ein neues Eisen und Salbe auf ihrer Wunde. Wir konnten also weiter, dachten wir, sonst hätte man bestimmt eine Nachricht hinterlassen, oder Mary mitgenommen.
Wir verabschiedeten uns höflich von Mrs. Cardinal und ziemlich verschwörerisch von Achilles. Klar, wir kämen wieder. Klar, wir würden den Schatz nochmals mit ihm suchen wollen. Klar, wir würden teilen. Ganz klar, der alte Mann wußte zu viel, irgendwann, am besten in der Nähe des Schatzes würde man ihn erschießen müssen. Wie sich das gehört für einen richtigen Schatzräuber.
Wir packten schnell unsere Sachen, beluden Mary Lou und wollten gerade los, als ein Golfwagen neben uns stoppte. Ich war sehr misstrauisch wegen des Wägelchens, aber die Frau, die ausstieg stellte sich als Virginia Baker vor, Journalistin der Apache Junction News. Ob sie wohl ein Interview mit uns machen könnte. Was, mit uns? Frag lieber den alten Achilles, der kann dir was über wirklich wichtige Sachen erzählen. Über Schätze. Aber sie war der Meinung, daß sich hier sowieso keiner mehr für Schätze interessieren würde, aber für uns. Also, was wir hier machen würden? Bereitwillig und sehr geschmeichelt gaben wir Auskunft, erzählten von der Mine, von den Problemen mit dem Pferd, und von den Leuten, die uns hier so großartig geholfen hatten. Und sie wollte wirklich alles wissen. Nach dem Interview tauschten wir noch schnell unsere Adressen. Als ich nach der Tour in Deutschland meine Post öffnete, da fand ich einen Zeitungsartikel aus Amerika. „German Students Trek The Superstitions“. Mit Bild von uns und irre viel Text! Ich war baff.
Aber wir hatten noch ein wenig zu laufen, und obwohl Mary ein wenig lahmte, schafften wir noch etwa zehn Kilometer. Kurz hinter der Stelle, die mir Randy gestern gezeigt hatte, bogen wir in die Wüste ab und fanden nach etwa zwei Kilometern den Wassertank, an dem wir unsere erste Nacht in der Wüste verbringen wollten.
(weiter geht es mit Kapitel 4: In die Wüste)

In der Ferne 1, Weltweit