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Kapitel 4


Kapitel 4: Durch die Wüste



Wir sahen zuerst nur ein paar halbverfallene Zäune und einen mit Bulldozern aufgeschütteten Wall. Ein großer Bulle beäugte uns äußerst kritisch, und da wir zu diesem Zeitpunkt noch etwas Respekt hatten, stellten wir zuerst in einiger Entfernung des Tanks unser Zelt auf, und gingen dann bewaffnet mit Axt und Spaten wieder zum Tank, um unsere Wasserkanister zu füllen.
Langsam krochen wir über den Rand des Walles und spähten nach unten. Vor uns lag ein schreckliches, alptraumhaftes, ja, grauenvolles Bild: Der Tank!
Der Tank war eine etwa zwanzig Meter im Durchmesser zählende Pfütze aus matschigem, modrigem, braunem Schlamm. Ein paar Kühe standen am Rand, und zwei sogar im Wasser! Eine davon entleerte sich gerade in den Tank. Mir drehte sich der Magen rum.
Ich hatte mir ehrlich gesagt nie so richtig Gedanken über diese Tanks gemacht, aber ich hatte mir immer sauberes, in der Sonne glänzendes Wasser vorgestellt, vielleicht sogar mit ein paar Enten drauf. Und nun diese Kloake! Matsch, wohin man sah, und überall waren Viehspuren, und damit meine ich nicht nur ihre Fußabdrücke!
Ich drehte mich auf den Rücken und machte mir unsere Position klar. Ich war gerade in die Wüste gelaufen, es war Abend, und ich brauchte dringend Wasser für mein Pferd, meinen Kumpel und für mich. Da unten gab es zwar Wasser, aber es war fast ungenießbar, und außerdem wurde es von einer Herde Bullen umlagert, die wir erst mal verscheuchen mußten. Ich sollte jetzt also eine Herde Hornvieh so erschrecken, daß sie ihre Pfütze für mindestens zwei Minuten verließen, nur um Wasser zu holen, von dem ich annahm, daß die Bakterien darin schon so weit entwickelt waren, Demokratie als offizielle Staatsform auszurufen und Nenas 99 Luftballons für den letzten Hit zu halten.
Ein Gutes hatte es aber, daß die Kühe dort unten am Wasser standen. Solange eine Herde da war, konnten wir auch sicher sein, daß kein Puma im Gebüsch lauerte. Zumindest nahmen wir an, daß die Rindviecher etwas mehr Übung beim Erkennen einer solchen Gefahr hatten als wir. Trotzdem wollten wir etwas Abstand zu den Tieren bewahren. Das Hornvieh mußte weg.
Wir nickten uns zu, und los ging es. Mit lautem Gebrüll sprangen wir auf und rannten Axt und Spaten schwingend auf die Herde zu. Die Herde nahm natürlich vor soviel Heldenmut zu Tode erschrocken Reißaus, und wir konnten unsere Kanister füllen. Was ich sah, war keineswegs appetitlich. Das Wasser klumpte und brockte in unsere Wasserkanister, und einige der Brocken bewegten sich sogar. Mir fiel plötzlich etwas Schreckliches ein. Die Pumpe war ja immer noch kaputt! Wenn wir sie heute nicht reparieren konnten, dann sah es schlimm aus. Warum hatte ich sie nicht schon viel früher repariert?
Es wurde schon dunkel, als ich immer noch vor den Einzelteilen der zerlegten Pumpe saß. Warum war da eigentlich keine Beschreibung dabei? Na, warte, wenn Martin die wirklich in Wuppertal hat...! Meine Zunge klebte am Gaumen wie ein alter Kaugummi unter der Schuhsohle, und das Schlucken fiel mir schon recht schwer (Quatsch mit Soße, aber ich finde, es hört sich hier ganz gut an). Ich schaffte es nach gut einer Stunde Frickelei, die Pumpe wieder in Betrieb zu bekommen. Jetzt war das Wasser nur noch halb so braun. Zur Vorsicht kochen wir es noch ab.
Wir waren beide hundemüde, und meine Füße schmerzten höllisch. Ich hatte mir in der Nacht auf der sockenlosen Suche nach Mary Lou einige Blasen gelaufen, die mir jetzt übelst zu schaffen machten. Ich versorgte sie noch rasch, aber es war einfach zu dreckig. Ich wußte genau, sie würden sich entzünden.
Als wir am Morgen gegen acht unser Zelt wieder verließen, hatten wir eine unruhige Nacht hinter uns. Die für uns ungewohnten Geräusche der Wüste, Koyotengeheul und wilde Vogelschreie hatten mich mehrfach veranlasst, vorsichtig nach allen Seiten aus den Zelt und nach den Pferd zu sehen. Eine Nacht in der Wüste hatte etwas von einer Ausdauerprüfung. Außerdem hatte Alex mitten in der Nacht angefangen, das Zelt zu durchwühlen. Auf meine schläfrige Frage, was er um alles in der Welt da treibe, antwortete er im Schlaf, wir müßten doch noch Mary Lou abpacken, aber er schaffe das schon allein. Ich solle ruhig weiter schlafen. Dann kam er sich wahrscheinlich ziemlich komisch vor, drehte sich fix um und schlief selbst weiter. Und ich glotzte mit offenem Mund in die Dunkelheit.
So wie die Nacht gewesen war, so sahen auch unsere verquollenen Gesichter am Morgen aus, und ich war der felsenfesten Überzeugung, daß ich mit den dicken Augen schon Tucson erkennen konnte.
Wir packten, sattelten auf und waren gegen kurz vor elf wieder auf dem Weg. Ich hatte es schon gestern kommen sehen, meine Füße schmerzten entsetzlich. Wir hatten heute etwas mehr als zwanzig Kilometer vor uns und wollten die Minen im Box Canyon besichtigen.
Alex führte Mary Lou, und ich humpelte hinterher. Ich wußte vor Schmerzen kaum, wie ich meine Füße setzen sollte, und Alex war schon nach kurzer Zeit weit voraus. Höflich wartete er ab und zu und ließ mich aufschließen, aber wir beide wußten, daß für allzu große Pausen heute keine Zeit war.
So gingen wir etwa fünf Kilometer, bis ich sah, wie Mary, die ebenfalls noch humpelte, den Kopf hängen ließ. Ich versuchte mit ihr Schritt zu halten. Es fiel plötzlich ganz leicht, denn sie ging nur noch ganz langsam, so daß Alex sie schon fast ziehen mußte. Ich beobachtete sie genau. Auf einmal sackten ihre Beine hinten ein. Es war nur ein leichtes Knicken, aber es sah so unnatürlich aus, daß für mich feststand, hier war Endstation.
„Dieser Corky ist ein alter Sauhund! Wie kann er uns mit dem Pferd losgehen lassen? Der ist doch nur hinter den Dollar her!“
Alles Schimpfen half nichts. Wir saßen mit einem kranken Pferd und ca. 120 kg Ausrüstung in der Wüste. Und wir waren selber Schuld. Gott sei Dank hatten wir die Piste noch nicht verlassen, und eine Staubwolke kündigte in der Ferne ein Auto an.
Breitbeinig stellte ich mich mitten auf die Straße und deutete dem Auto an, zu stoppen. Der Mann am Steuer machte zwar nicht den freundlichsten Eindruck, er war komplett in Camouflage gekleidet und hatte neben sich auf dem Beifahrersitz ein halbautomatisches Gewehr und eine automatische Pistole. Außerdem trug er ein riesengroßes Messer, daß mich irgendwie an das von Jack the Ripper erinnerte. Aber sein Pickup bot genug Platz für unsere Ausrüstung und mich. Er sollte mich bis zum Highway zurück mitnehmen, und mich dort rauslassen. Alex wollte mit dem unbeladenen Pferd nachkommen. Ich war froh, daß er sich freiwillig dazu bereit erklärte, denn ich hatte Riesenschiss vor dem Weg zurück. Also stieg ich zu Rambo ins Auto und mußte mir erst einmal zwischen all den Waffen und Metalldetektoren Platz schaffen. Ziemlich belustigt fragte ich ihn, warum er so viele Waffen bei sich tragen würde. Wegen der Koyoten natürlich. Ach, so. Wegen der Koyoten. Ganz klar.
Ich nahm an, daß der Oase seines Verstandes einfach einige Palmen fehlten. Er machte einen auf Sly Stallone mit Tätowierung und Kampfanzug, fuhr einen riesigen Geländewagen und bewaffnete sich am helllichten Tage aus Angst vor nachtaktiven Hunden mit einem Kriegsarsenal, nachdem sich Adolf H. aus D. die Finger geleckt hätte. Ob wir keine Schwierigkeiten mit wilden Tieren gehabt hätten, fragte er mich.
Wilde Tiere, wo?
Ich glaube, er war froh, als er mich endlich an der Straße absetzen konnte, und sich wieder wie Pumpman Joe, der allerwildeste Knochenbrecher vorkommen konnte. Sollte er doch.
Da stand ich nun, irgendwo in der Wüste, an irgendeinem Highway und wartete darauf, daß mein Kumpel mit seinem humpelnden Pferd zu mir kam. Und dann quatschte mich auch noch so ein Opi an, der mit seinem Geländemotorrad aus der Wüste kam, Nachtwächter bei einer großen Einkaufskette, einssechzig groß, olivfarbene Schildmütze mit Air Force Aufnäher, sag Bill zu mir. Ich vermutete, daß auch seine geistige Alm vor langer Zeit der Erosion preisgegeben worden war. Ob das mein Buddy sei, der da hinten durch die Wüste rennen würde?
Yep. Und was passiert wäre?
Er war einer dieser Menschen, die selbst in der grenzenlosen Weite der Wüste einen Schritt zu nah herankommen. Ich erzählte ihm alles der Reihe nach, obwohl ich ziemlich schnell klaustrophobisch  wurde, und alles in einer etwas gestrafften Form darstellte. Ich erzählte auch von Pat.
Nein, also, warum wir Frauen trauen würden auf solch einer Tour? Er wäre fünf mal verheiratet gewesen, und er wüsste, wovon er spräche, wenn er sagen würde, daß man Frauen nicht trauen könne. - Oh, Gott, liefen heute nur Verrückte rum? Hatte ich nicht schon genug Probleme?
Viel Zeit blieb ihm Gott sei Dank nicht mehr, um noch mehr aus seinem wohl sehr interessanten Leben zu erzählen, denn Alex tauchte schon am Horizont auf. Er hatte ein sehr gutes Tempo vorgelegt, und Mary war unbeladen recht gut mitgekommen. Unser Heiratsschwindler bot sich an, Alex nach Apache Junction zu fahren. Ich sollte solange mit Mary hier bleiben. Na, toll. Aber Alex hatte sowieso alle Telefonnummern bei sich, und wer von uns ging, war egal.
Also zog ich meinen Hut tiefer ins Gesicht und kroch, nachdem ich Mary noch gut versorgt hatte unter die Ausrüstung in den Schatten. Mary graste das spärliche trockene Gras und bekam sichtlich Durst. Da das Wasser aus ihrem Kanister schon aufgebraucht war, machte ich mich mit ihr auf die Suche nach einer Wasserstelle, die auf der Karte als relativ nah eingezeichnet war. Ein paar Bienen summten an mir vorbei, und ich beschloss, ihnen zu folgen, oder wenigstens in die Richtung zu gehen, in die sie flogen.
Bienen sollen gute Wasseranzeiger sein. Sie müssen oft trinken und halten sich deshalb immer in der Nähe von Wasser auf. Da sie maximal nur 5 km weit fliegen können, kann man davon ausgehen, daß es in der Nähe Wasser geben muß, wenn man Bienen sieht. Gut zu Fuß sollen es Indianer schaffen können, ohne die Biene aus den Augen zu lassen, auf ihrer Spur zum Wasser zu gelangen. Ich hatte mal etwas darüber gelesen, und es gab auch einen Witz über einen Scout, der sich brüstete, eine Fliege, die ihn beim Schlafen gestört hatte, über dreißig Meilen bei Nacht durch die Wüste verfolgt zu haben. Schließlich wollte er sie über dreihundert Metern Entfernung mit einem Schuss aus der Hüfte erledigt haben. Eine Lüge, wie sich herausstellte, denn der Anwalt der Fliege forderte später hohes Schmerzensgeld, da er ihr nur das linke Auge ausgeschossen hatte.
Natürlich hatte der Witz rein gar nichts mit meiner derzeitigen Situation zu tun, ja, ich hatte zu der Zeit noch nicht einmal seine durchaus deutliche Ironie verstanden. Auch, daß es sich in dem Witz um eine Fliege und nicht um eine Biene handelte, war mir nicht aufgefallen. Ich grinste nur dümmlich. Ein Versuch war es wert.
Also humpelte ich vornweg, und Mary humpelte hinter mir her. Wir fanden den Tank tatsächlich schon nach weniger Zeit. Er lag genau dort, wo auch die Bienen hingeflogen waren, und er war in noch schlimmerem Zustand als der Gestrige, aber für Mary war er scheinbar okay. Sie machte einen Schritt nach vorn und versank sofort bis zu den Knien im Morast. Ich hatte gerade nach den Bienen Ausschau gehalten und nicht auf Mary geachtet, als Sie mich mit sich zog, und ich auf die Knie fiel. Meine Hände, die ich als Stütze nach vorn gehalten hatte, bohrten sich in den Schlamm, und ich sank. Mein Gesicht war auf einmal erschreckend nah an dieser stinkenden Mischung aus Erde, Rinderscheiße und Pumapisse. Treffend brachte ich ein überraschtes „Verdammte Kacke!“ heraus. Ich versuchte vergeblich, einen Arm frei zu bekommen, aber jede Bewegung lies mich noch tiefer sinken. Zum Glück hatte ich den Führstrick noch nicht losgelassen, und Mary Lou zog mich unsanft daran heraus. Das Pferd war unglaublich. Wir sahen aus wie die Schweine, aber Mary schien sich gar nicht darum zu scheren. Sie wollte endlich trinken. Ich versuchte vorsichtig, an anderer Stelle ans Wasser zu gelangen, aber es war zu sumpfig. Also suchte ich mir einen langen Ast, was einen in der Wüste schon vor erhebliche Probleme stellen kann, schmiss ihn in die Gülle und balancierte über ihn zum Wasser. Mit meinem Hut schöpfte ich das dreckige Wasser und brachte es zu Mary. Viermal. Danach wusch ich mir die Arme und ihr die Beine. Viel brachte es aber nicht. Man kann Dreck nicht mit Dreck tilgen. Wir humpelten zurück zur Ausrüstung.
Mittlerweile waren gut zwei Stunden vergangen, und als ich am Ausrüstungsberg ankam, waren Alex und Pat auch schon da. Pat untersuchte Mary und konnte nichts Ernsthaftes feststellen. Sie schlug vor, uns bis Florence vorzufahren, so daß wir dem Pferd eine Pause gönnen konnten, ohne Zeit zu verlieren. Auch wenn sie humpelte, Bewegung wäre das Beste für sie.
Eigentlich hätten wir darauf bestehen müssen, ein anderes Pferd zu bekommen, aber Mary Lou war nun einmal Mary Lou, und sie war ein tapferes Pferd. Also, nach Florence.
Florence wäre sowieso die nächste Station nach Box Canyon gewesen, so daß uns die Änderung nicht viel ausmachte. Weit war es nicht mehr, aber ich hörte meine Füße jubeln.
Da Florence zum größten Teil aus staatlichen Gefängnissen besteht, und sonst nicht viel mehr zu bieten hat als ein paar auf alt gemachte Cop-Kneipen, gingen wir dort nur kurz Einkaufen und bauten dann weit vor den Toren der Stadt in der Wüste unser Lager auf. Wir packten noch die halbe Nacht um und sprachen über das Pferd. Wir hatten sie nicht getauscht. Vielleicht hatten wir schon wieder einen Fehler gemacht.



Der nächste Tag sah nicht viel besser aus. Wieder hatten wir nicht gut geschlafen und Marys Bein war leicht geschwollen. Während Alex mit ihr etwas spazieren ging, packte ich die Ausrüstung zusammen und betrachtete meine Füße. Schlechte Zeichen standen am Himmel.
Wir brachen, nachdem wir wiederholt mehrmals umgepackt hatten, um eine optimale Beladung zu erreichen, gegen ein Uhr auf. Wenigstens an der Balance sollte es nicht scheitern. Wieder nahm Alex das Pferd am Zügel, während ich mit meinen Stöcken hinter den beiden her kroch. Wir folgten lange einer staubigen, öden Straße, wurden vom aufgewirbelten Staub vorüber fahrender Laster eingehüllt und von der Sonne ausgedörrt. Bald jedoch erreichten wir die Stelle, an der wir von der Straße abbiegen wollten. Zu unserem Glück fanden wir sogar ein offenes Gatter.
Jetzt ging es los. Bis hierhin hatten wir immer die Möglichkeit gehabt, von irgendwelchen Leuten Hilfe zu bekommen. Ab jetzt waren wir in der Wüste. Auf uns allein gestellt. Das Pferd, auf das wir uns im Falle eines Unfalls hätten setzen wollen, um Hilfe zu holen, mußte fast selbst getragen werden, und ich ging am Stock. Ja, wir waren wirklich bereit für die Wüste.



Mit Hilfe unserer Kompasse suchten wir uns einen Weg durch die immer etwas höher als Körpergröße gewachsene Vegetation. Wir versuchten immer einen markanten Punkt am Horizont zu finden, der auf unserer Marschzahl lag. Manchmal konnten wir nur fünf Meter weit sehen, also gingen wir auch nur fünf Meter. Jede Kompasspeilung mußte durch den anderen bestätigt werden. Auf diese Weise kamen wir natürlich nur sehr langsam voran, aber sich hier zu verlaufen wäre fatal gewesen. In zwei Stunden mühsamsten Peilens machten wir bei optimistischer Schätzung nur vier Kilometer gut. Aber wir verfehlten die Stelle, die wir finden wollten nur um 50 Meter. Wir waren begeistert von uns.



Der Watertank sah wieder äußerst bescheiden aus, aber jemand hatte ein kleines Zusatzbecken voll klarem, kühlem Wasser aufgestellt. Und er war wieder gegangen. Und er hatte nicht mit uns gerechnet.
Um das Wasser nicht zu verschmutzen, benutzten wir unsere Kochtöpfe als Schöpfer und kippten das Wasser über uns. Es war ein Rausch. Es mußte sein. Es gehörte dazu. Wir hatten getrotzt. Wir waren härter gewesen. Ruhmreich hatten wir gekämpft. Es war ein gefeierter Sieg nach einem Rennen, daß gar nicht stattgefunden hatte, und in dem niemand Los und niemand Stop gesagt hatte. Unser Ruhm war selbstgemacht. Unser Ruhm war vergänglich, vergänglich wie die Anzeige eines Solartaschenrechners bei Nacht.
Wir füllten einen unserer Wasserkanister nochmals mit dem klaren Wasser, wer wußte, wann man wieder so ein Glück hatte, und liefen weiter querfeldein nach Süden. Aber das Wetter war zu heiß, als daß das Wasser lange gehalten hätte.
Wir liefen etwa zwei Stunden nach Süd-Süd-West, Marschzahl 158. Wieder war ich hinter den beiden, als Mary plötzlich abermals einknickte. Diesmal fing sie sich allerdings nicht ab, so wie beim letzten mal, sondern ging direkt zu Boden. Sie schwitzte nicht, sie atmete nicht stark, sie lag nur da und schaute uns mit großen Augen, die sagten, schlagt mich bitte nicht, an. Von Schlagen konnte allerdings gar keine Rede sein. Wir haben sie nie geschlagen. Wir rissen die Taschen und den Sattel von ihrem Rücken, halfen ihr beim Aufstehen und gaben ihr sofort Wasser. Wir waren zu Tode erschrocken und machten uns große Sorgen um sie. Aber sie schüttelte sich nur kurz und wollte dann fressen.
Da standen wir nun, mitten in der Wüste und weit weg von jeder Wasserstelle, mit einem lahmen Gaul. Die Sonne würde bald untergehen, und ich wußte nicht so recht, was das Wort Trockenlager bedeutete. Aber ich hatte da so eine Ahnung. Wie vor den Kopf geschlagen ließen wir uns auf den steinigen Boden fallen. Die Dämmerung setzte schon ein, und an Weiterlaufen konnten wir nicht mal denken. Wir zählten unsere verbleibenden Liter Wasser. Sieben. Wenn wir es bis morgen Mittag zum Wasserloch schaffen würden, dann würde es vielleicht gehen. Da wir querfeldein gegangen waren, konnten wir unsere Position nicht besonders gut feststellen. Trotzdem wollte Alex mit einem Kanister loslaufen und versuchen, Wasser aufzutreiben. Ich dachte an die Bienen, aber ich wußte nicht, ob ich Alex davon erzählen sollte. Selbst, wenn er es schaffen würde, im Halbdunkel einer fliegenden Biene zu folgen, so würde er sich doch hoffnungslos verlaufen, denn keine Biene ist so nett, einen auch wieder zum Zelt zurück zu führen. Ich beschloss, die Bienenangelegenheit für mich zu behalten, und ganz schnell zu vergessen. Ich wollte statt dessen das Lager aufbauen, und Feuer machen. Er würde nur eine halbe Stunde weg sein, versicherte er mir.
Das Land war ziemlich unübersichtlich, und man konnte sich sehr leicht verlaufen, selbst, wenn man keiner Biene folgte. Um Alex die Heimkehr zu erleichtern, fing ich nach einiger Zeit an zu singen. Laut. Bon Jovi. Lieder von einsamen Verlieren und so. Und tatsächlich, irgendwann kam Alex aus einer Richtung, in die er nicht gegangen war. Ich fragte ihn nicht, aber er sagte, daß er nur durch mein Gesinge das Lager wiedergefunden hatte. Wasser hatte er natürlich in der kurzen Zeit keines gefunden.
Wir setzten uns ans Feuer und besprachen uns. Ehrlich gesagt konnten wir nicht viel mehr, als uns immer mehr Fragen zu stellen. Warum war Mary zusammengebrochen? War sie zu schwach? Aber warum hatte sie dann die Superstitions mit viel mehr Last geschafft? Gingen wir zu schnell? War sie zu alt? Waren wir zu doof, um irgend etwas zu begreifen?
Nur auf eine Frage kannten wir die Antwort. Morgen mußten wir den Tank erreichen.

Als der nächste Morgen graute, konnte ich es nicht glauben. Wieder hatten wir schlecht geschlafen, wieder waren die Koyoten laut gewesen, und sie waren so verdammt nah ans Zelt gekommen, daß wir unsere Präsenz immer wieder durch lautstarke Geräusche hatten mitteilen müssen. Mit einem zaghaften Blick öffnete ich das Zelt. War da draußen vielleicht doch Hoffnung? Wenigstens die Sonne war dottergelb noch an ihrem Platz.
Wir packten zusammen, Alex fluchte wie jeden Morgen über seine Kontaktlinsen, die er in dem Dreck und ohne Spiegel kaum eingesetzt bekam, ich erschrak wie jeden Morgen über meine welken Füße, und alles war wie immer. Nach wenigen Metern verrutschte wieder das Gepäck, wir sattelten ab, sattelten auf, und hatten den ganzen Tag noch kein anderes Wort als Scheiße gesagt. Das ständige schwere Heben machte uns fertig. Und getrunken hatten auch noch nichts. Die Sonne brannte, und ich hatte seit Tagen keine Sonnenbrille mehr. Meine Augenlieder waren jeden Abend angeschwollen, aber es gab wenig Kühlung. Das letzte Wasser war für Mary Lou, und wir versuchten leicht verzweifelt und mit sorgfältiger Kompasspeilung, den Watertank zu treffen.
Tatsächlich fanden wir schon nach etwa zwei Stunden Tank No.1. Bienen hatten wir keine gesehen. Wir taten cool, als wir das Wasser erreichten, aber so selbstsicher wie am Anfang war von uns beiden keiner mehr.



Wir machten eine kleine Pause und liefen dann weiter querfeldein, „Free Willy“ wie wir es nannten. Von jetzt an war es viel einfacher, denn wir sahen unser Ziel schon am Horizont. Die Middle Mountains.
Die Middle Mountains sind eine Handvoll kleinerer Hügel, höhenmäßig  kaum der Rede wert, die sich mitten aus der sonst ebenen Fläche der Wüste erheben. An ihren Füßen war laut Karte ein weiterer Watertank zu finden, der Middle Mountain Tank.
Da wir jetzt nicht mehr ständig auf den Kompass gucken mußten, kamen wir sehr viel schneller vorwärts, und die Berge rückten zusehends näher. Ich lief diesmal ein wenig voraus, um einen guten Weg für Alex und Mary Lou zwischen all dem Gestrüpp zu suchen, als ich plötzlich vor einem, quer zu unserer Marschrichtung verlaufenden Zaun stand. Wir einigten uns nach ein paar deftigen Worten darauf, erst einmal dem Zaun in eine Richtung zu folgen, um eventuell ein Tor zu finden, eine Idee, die wir schon zehn Minuten später revidierten und uns ans Ausgraben der Zaunpfähle machten.
Der durchschnittliche arizonische Viehzaun, und wir hatten es hier ganz klar mit einem dieser Spezies zu tun, besteht aus vier Etagen straff gespanntem Stacheldraht, Rost nach Belieben und Alter, der mit dünnerem Draht (immer verrostet) an den, in den Boden gerammten Eisen- oder Holzpfosten befestigt ist. Wenn man ihn (den Pfosten) umlegen will, damit man mit dem Pferd drüberlaufen kann, muß man mindestens vier Nachbarpfosten mit ausgraben oder aus der Erde ziehen, wenn es denn geht, um dem Draht soweit die Spannung zu nehmen, damit man ihn auf den Boden legen kann. So etwas kann schnell gehen. So etwas kann aber auch lange dauern, vor allem, weil man den Zaun danach wieder aufstellen muß.
Der Draht war äußerst straff gespannt und wir mußten fünf Pfosten ausgraben, um die Spannung soweit zu vermindern, daß der oberste Draht in die Nähe des Bodens gedrückt werden konnte. Wir legten unsere Rucksäcke zum Beschweren auf den Draht, und ich stellte mich selbst mit meinem ganzen Gewicht darauf, aber ganz auf dem Boden lag er immer noch nicht. Mary schaffte es trotzdem.
Auch, wenn es sich ganz leicht anhört, es kostet Kraft, Zeit, Nerven und es ist für Mensch und Pferd relativ gefährlich. Erstens ist der Zaun unnachgiebig straff gespannt, und das Pferd kann leicht mit einem der Hufe hängen bleiben, und zweitens ist der Draht meistens rostig. Beim Rumhantieren oder Überqueren kann es leicht sein, daß man sich verletzt, und mit Rost in Wunden ist nicht zu spaßen.
Genervt lief ich wieder voraus und fand bald eine Piste, die uns zum Tank führen sollte. Wir erreichten ihn um halb sechs. Optimistisch geschätzte Tagesleistung: 10 km.
Wieder sahen wir zuerst den typischen Erdwall um die Wasserstelle und pirschten uns vorsichtig an. Aber die Wasserstelle war verlassen und einsam, so daß wir unsere Wasservorräte in Ruhe auffüllen konnten. Ganz wohl war mir bei der Sache mit den verlassenen Tanks allerdings nie, denn wenn Kühe am Wasser waren, dann konnte man wenigstens sicher sein, daß nicht irgendwo ein Puma im Gebüsch lauerte. Ohne Kühe kam ich mir immer vor, als würde ich in eine Falle laufen. Mit Kühen kam ich mir allerdings nicht viel besser vor. Wasserholen entwickelte sich nicht gerade zu meiner Lieblingsbeschäftigung, soviel stand fest. Und realistisch betrachtet war das Wasser viel gefährlicher als ein Puma.
Gott sei Dank hatten wir noch etwas Wasser aus der sauberen Wasserstelle, denn dieses Loch hier spottete wieder jeder Beschreibung. Mir ist niemals der Gedanke gekommen, ich könnte so eine Wasserstelle vielleicht Oase nennen. Ich stelle mir eine Oase nämlich immer anders
vor. Schön. Sauber. Mit Palmen. Mit heißblütigen Frauen. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall kommt dabei nie die gastronomische Vorsichtsmaßnahme vor, das Wasser vor dem Schlucken kauen zu müssen, um wenigstens die gröberen Tierchen abzutöten.
Ich stieg kurz vor Sonnenuntergang noch auf einen der Middle Mountains, um einige Aufnahmen zu machen. Wir waren den ganzen Tag durch die Wüste gelaufen und hatten kaum etwas anderes gesehen als Gestrüpp und Kakteen, wobei alles größer gewesen war als wir. Und nun bekam ich die Entschädigung. Ich stand auf einem kleinen Berg der Middle Mountains, der Berge in der Mitte, und um mich herum breitete sich das flache Land in alle Richtungen zum Horizont aus. Fern zeichneten sich rings um die Wüste Bergketten gegen die einsetzende Dunkelheit ab. Die Bergketten formten einen geschlossenen Kreis um mich herum und begrenzten meine Welt. Die Welt war eine Scheibe. Der Sonnenuntergang verfing sich in den Wolken, und der Mond bezog treu seinen Posten. Ein Bild der Einöde erstreckte sich vor mir, wie ich es noch nie gesehen hatte. Die Leere war mächtig. Zugegeben, die Wüste hier war voll von Vegetation, es war nicht so, wie man sich Wüste vielleicht bei der ersten Assoziation des Wortes vorstellt, nur mit Sand, sondern mit Pflanzen. Kakteen, Saguaros und Stachelsträucher. Streng genommen handelt es sich ja nur um eine Halbwüste. Aber es war von einer atemberaubenden Gleichförmigkeit, fast schon einer betäubenden Langeweile. Nichts, woran sich der Blick fangen konnte, nichts, was irgendwie hervorstach. Es war alles gleich. Nur Wüste. Sie war unendlich. Sie war ein Ozean und ein Dschungel zugleich. Ein unerforschbares Geheimnis. Der Blick war alle Schmerzen wert.
Der Wind drehte gegen Abend ziemlich auf, uns es kündigte sich ein Sturm an. Wir aßen nur kurz am Feuer, bereiteten dann alles auf Sturm vor und legten uns ins Zelt. Der Sturm kam, es hagelte krachend erbsengroße Hagelkörner, und der Wind, der die ganze Nacht anhielt drückte die Zeltwand manchmal bis an unsere Gesichter. Mary hatten wir in der Nähe des Zeltes an einer Laufleine zwischen zwei kräftigen Sträuchern angebunden. Wir hatten darauf geachtet, daß sie nicht von den im Wind schwingenden Ästen getroffen werden konnte, und daß sie trotzdem einigermaßen Schutz hatte. Eine Plane um sie zu wickeln konnte sie nicht leiden, und um ein Dach zu bauen, dazu war der Wind zu stark. So stand sie dort draußen im Sturm. Wenn wir ab und zu aus dem Zelt in ihre Richtung schauten, dann stand sie da mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf stoisch ihr Schicksal erleidend. Sie tat mir leid. Ich wollte nicht mit ihr tauschen.

Der nächste Morgen war entsprechend. Übelgelaunt schälten wir uns aus den Schlafsäcken, merkten, daß der Kocher nicht funktionierte, aßen unser Frühstück aus verschlammtem Geschirr und waren super drauf. Wir wollten Mary noch etwas Ruhe zum Trocknen gönnen und schoben so die Schuld für unser spätes Aufbrechen auf sie. Wir räumten erst gegen halb eins das Feld, und machten uns auf den Weg zum nächsten Tank, Buck Tank. Wir folgten zuerst weiter der Piste, die wir auch gestern schon gelaufen waren, und es ging trotz der immer noch wunden Füße gut voran.
Das Wetter hatte sich wieder beruhigt, aber es hingen noch immer schwere Wolken über der endlosen Weite der Wüste, und die Sonne tauchte sie in ein dramatisches Licht. Das ganze wurde noch zauberhafter, als wir ab und zu am Rande unseres Weges abgesägte Saguaros sahen und sie für spanische Wegzeichen hielten. Wir stellten uns vor, daß wir auf derselben Route waren wie damals die alten Schatzverstecker. Es roch ein wenig nach Historie.  
Später aber sah es so aus, als ob Mary wieder schlappmachen würde. Am Futter konnte es nicht liegen, wir gaben ihr immer mehr, als Corky uns gesagt hatte. Vielleicht war es tatsächlich die schwere letzte Nacht, auf jeden Fall verging unsere so schwer geschaffene gute Laune schnell. Man kann nicht gutgelaunt laufen, wenn man ständig das Pferd beobachtet, und es macht keinen Spaß zu glauben, daß man ein Tier quält.
Wir erreichten einen anderen kleineren Tank, der auf unserer Route lag und sattelten sie dort für eine Pause ab. Sie trank eifrig und langte in Sachen Gras voll zu. Da wir aber bis jetzt kaum Distanz gewonnen hatten, und etwaige Hilfe immer noch außer Reichweite war, sattelten wir schließlich wieder auf und liefen weiter. Sie schien sich gut erholt zu haben, und wir erreichten die Ninety-Six-Hills, einen kleinen Gebirgszug südöstlich der Middle Mountains ohne Probleme.
Es entzückte uns von neuem, von einem erhöhten Standort aus über die Wüste blicken zu können. In einiger Entfernung sahen wir umrahmt von der überwältigenden Masse der Wüste die Middle Mountains als kleine Hügel aufsteigen. Fast verloren sahen sie aus inmitten der Weite. Ich winkte ihnen begeistert zu.
Wir folgten der Sandpiste noch ein wenig weiter in die Berge und bogen dann nach rechts ab auf einen kleineren Trail, der uns am nächsten Tag wieder zu einem Highway führen sollte. Meine Füße schmerzten, und ich kam kaum hinter Alex her.
Ich war hundemüde als wir gegen Abend Buck Tank erreichten und brauchte eine halbe Stunde, um das Zelt aufzubauen. Trotzdem wetzte ich noch für ein Foto vom Sonnenuntergang auf einen Berg. Wie zum Hohn kam ich fünf Minuten zu spät.
Mary hatte in der Zwischenzeit versucht, einige der zartrosa Blumen zu fressen, die hier wuchsen. Sie schienen ihr gut zu schmecken. Das einzige Problem an den Blumen bestand darin, daß sie nicht höher als fünf oder sechs Zentimeter wuchsen. Mary mußte also immer ihre Nase fest auf den Boden drücken, um mit ihren Lippen die Pflanzen zupfen zu können. Nun färben diese kleinen Blumen aber so stark, daß man, wenn man sich nur kurz darauf setzt, schon eine rosa Hose hat. Wir haben schallend gelacht, als wir von unserem Berg herunterkamen und Marys lippenstiftroten Mund sahen. Als sie wegen unseres Gelächters den Kopf hob, blieb ein Ästchen von einem Busch genau über ihrem Ohr hängen. Mary mit rosa Lippen und Blume hinter dem Ohr! Das war zuviel für mich. Ich brach vor Lachen zusammen und rollte mich über die Erde. Auch Alex krümmte sich unter den Zuckungen seines Zwerchfells. Nur Mary schien das Ganze gar nicht witzig zu finden. Entrüstet drehte sie sich um und zeigte uns ihr Hinterteil. Wir hatten Tränen in den Augen vor Lachen.
Wir machten ein Lagerfeuer aus einer alten Tür, die wir mitten in den Bergen gefunden und zerhackt hatten. Ich reparierte den Kocher und lag dösend am Feuer. Wir sprachen nicht sehr viel an jenem Abend. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Nur ab und zu kam die Frage: „Hey, bist Du schon eingeschlafen?“
Dies war der einzige Tag auf der gesamten Tour, den wir so gelaufen waren, wie wir es zu Hause geplant hatten. Der einzige. Und es sollten noch so viele Tage kommen.

Die Nacht in den Bergen war kalt gewesen, und wir fröstelten, als wir am nächsten Morgen aus dem Zelt krabbelten. Da uns gestern die Butter über unsere Frühstückstüte ausgelaufen war, aßen wir mit wenig Freude unser verschmiertes Frühstück und brachen um kurz vor zwölf zum vorerst schlimmsten Tag auf.
Wir folgten zuerst weiter dem Trail, den wir gestern gekommen waren, bogen aber schon bald in ein ausgetrocknetes Creekbett ab, dem wir uns einige Zeit anvertrauen wollten. Wir dachten so eine Abkürzung nehmen zu können, die uns schneller zur Straße bringen sollte.
Der Boden des Creeks war sandig und extrem schwer zu laufen. Bei jedem Schritt schluckte der lose Sand das meiste der Energie. Hinter uns blieb eine Spur aus tiefen runden Abdrücken zurück. Wir schwitzten wie die Schweine und mußten regelmäßig in immer kürzer werdenden Abschnitten verschnaufen.
Die Ufer des Creeks ragten oft mehr als zwei Meter steil auf und vermittelten uns den Eindruck, in einer Bobbahn zu laufen. Überall in den Sträuchern am Rand hing Treibgut, und ab und zu erhob sich eine kleine Insel aus dem trockenen Flussbett. In der Regenzeit mußte das Wasser hier mit einer gewaltigen Geschwindigkeit hindurch rasen. In dieser Zeit wäre der Creek für uns wahrscheinlich nicht zu überqueren gewesen. Aber auch jetzt gab er sich nicht gerade leicht geschlagen. Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt und stach eine unangenehme Hitze auf uns schwitzende und meckernde Vagabunden herab, wie wir uns mühsam fortschleppten.
Ich will an dieser Stelle aus Gründen der Authentizität einen Bruch machen, um aus dem originalen Tagebuch, in das ich auf der Tour abends Stichworte gekritzelt habe, zu zitieren:
- nach etwa zwei Kilometern bricht Mary Lou wieder zusammen - atmet schwer - liegt im Sand - gottverdammte Scheiße - packen ab - wohin jetzt? - zurück gehe ich nicht, Boden viel zu schwer - Pause - Mary wieder beladen - gehen weiter, tut mir leid, Mädchen - versuchen aus Creek raus zu kommen, steigen über Rand - Zaun!- Herrgottnochmal! - finden keine gute Stelle - graben aus - arbeiten fieberhaft, wollen nicht erwischt werden, obwohl seit Tagen niemanden gesehen - Mary bleibt mit Hufeisen an Draht hängen! - sterbe fast vor Schreck - schneiden sie los, sie geht zurück - totale Verzweiflung - stehe kurz vor Aufgabe - schreie rum - Alex rastet aus - tritt nach allem, was sich anbietet - sind am Ende - wollen nicht zurücklaufen - also, zweiter Versuch, ohne Rücksicht - zerschneiden Zaun völlig, M. L. läuft durch - reparieren Zaun - zwei Stunden verloren - will nicht mehr!
Das alles war ein großer Schreck, aber Gott sei Dank ohne große Folgen. Mary war nichts passiert und außer dem Zaun war alles noch heil. Aber es war eine Zerreißprobe für unsere Nerven gewesen und das endgültige Todesurteil für unser Selbstbewusstsein. Da Mary nach ihrem Zusammenbruch im Creekbett den ganzen Tag weiter ohne Probleme gelaufen ist, vermuten wir, daß wir einfach den Sattelgurt zu fest angezogen hatten, so daß sie bei dem schweren Boden nicht genügend hatte atmen können. Und was das Hängenbleiben im Zaun anging, das war gar kein Problem für sie. Nur für uns. Jedes andere Pferd wäre in Panik ausgebrochen, aber nicht Mary. Mit jedem anderen Pferd wäre es hier zu Ende gewesen, zur Katastrophe gekommen. Aber nicht mit Mary. Mary Lou scheute nicht einmal. Sie ging unbeirrt weiter. Und nur deshalb ging ich auch.
Nach einer Pause auf einer Anhöhe mit dem ersten Blick auf die Santa Catalina Mountains, die sich weit im Süden schon am Horizont abzeichneten, erreichten wir den Highway. Wir folgten ihm ein Stück nach Osten entlang, und in ca. zwei Stunden Marschierens auf der staubigen Straße kam kein einziges Auto. Seit Tagen hatten wir keine Menschenseele mehr gesehen. Und wir schwenkten wieder in die Wüste. Warum weiß ich auch nicht mehr.
Wie immer war ein Tank das Ziel. Auf der Suche nach ihm kamen wir durch eine kleine Senke, in der für die Wüste ungewöhnlich viel Gras wuchs, und in der Kakteen mit gelben Früchten standen. Es war wie ein Garten, wunderschön. Die Wüste kannte tausend geheime Verstecke, und das war so ein geheimer Ort. Er unterschied sich in allem von der üblichen Wüste, und doch ging er völlig in ihr verloren.
Am Tank selbst sah die Welt schon wieder anders aus. Er war okay, wir hatten eh nicht viel erwartet. Überall hingen Schilder mit den Hinweisen, daß sowohl Camping, als auch Betreten, als auch Wasser holen, als auch Jagen, als auch Leben hier verboten sei, aber was diese Schilder anging, hatten wir uns schon ein ziemlich dickes Fell zugelegt. Meterdick.
Unser Kocher glänzte wieder mit einem Aussetzer, und ich reparierte ihn unter üblen Beschimpfungen und Verwünschungen. Unsere Nerven waren heute etwas überstrapaziert worden. Wir waren um halb Zehn im Zelt. Himmel, war das ein Tag.

Montag: 09.03.1998, Aufstehen: 08 Uhr
Die erste Frage des Tages war die: Was glaubst du, geht heute schief?
Da wir schon lange unterwegs waren, war auch unser Proviantsack ziemlich dünn geworden. Außerdem war auch von Marys Vorräten nicht mehr viel übrig, also packte Alex alles Verbleibende in einen Sack, den wir Mary quer über den Rücken banden. Das ging schief.
Schon nach wenigen Kilometern merken wir, daß alles wieder verrutschte. Wir erreichten eine von diesen typisch amerikanischen Windmühlen, die Grundwasser fördern sollen, und sattelten bei einigen Koppeln ab. Die Windmühle förderte tatsächlich Wasser. Grundwasser. Sauberes Grundwasser. Und sie pumpte es in ein Speicherhaus. Ein ganzes Haus voll Wasser! Das konnte nur eins bedeuten: Badefest!
Mary Lou guckte sehr pikiert, als sie unsere Klamotten fliegen, und uns nackt, mit Schöpftöpfen in der Hand zum Wasser rennen sah.
Gott, war das herrlich. Waschen mit kaltem, sauberem Wasser. Entweder meinten es die Geister gut mit uns, oder sie gönnten uns nur eine Verschnaufpause, damit wir länger durchhielten. Klar, natürlich letzteres.
Wir gingen erst um halb drei wieder los, und wieder verrutschte nach kurzer Zeit die Ausrüstung. Völlig entnervt über das ständige Ab- und Aufpacken sattelten wir wieder um. Langsam tat das Heben wirklich weh.
Bald darauf erreichten wir eine Gaspipeline, die sich quer durch die Wüste zog. Die Pipeline selbst verlief unterirdisch, aber man hatte eine Schneise gezogen, die man gutmütig als Piste bezeichnen konnte. Eigentlich wollten wir einem Weg folgen, der sich parallel zur Pipeline durch die Wüste schlängelte, aber man konnte auch direkt auf der Pipeline laufen, wodurch wir Zeit zu sparen hofften. Und das mußten wir heute auch.
Wie eigentlich ganz Arizona, war auch dieses Gebiet Viehweide. Wo wir auch auftauchten, überall wurden wir von neugierigem Hornvieh bestaunt, und wir mußten uns von jetzt an die ganze Zeit den Weg freisingen. Entweder mögen Bullen Yellowsubmarine nicht, oder wir können nicht singen. Keine Kommentare bitte. Auf jeden Fall leistete uns dieser Song als Waffe lange hervorragende Dienste. Wenn Paul und John das wüssten.
So stimmten wir auch dieses x-te Mal wieder ein grölendes „We all live in a yellow...“ an, als der Weg durch eine kleinere Gruppe von Hornvieh verstellt war an. Die Herde bestand aus etwa 15 Tieren, soweit man es erkennen konnte, und es waren auch ein paar Kälber dabei.
Wie immer bewegten wir uns mit normaler Schrittgeschwindigkeit auf die Tiere zu und sangen. Normalerweise gucken die Viecher einen lange und neugierig an und lassen einen ziemlich dicht herankommen. Manchmal zu dicht, wie mir schien. Aber sie waren so neugierig, was wir Bleichgesichter denn hier so treiben würden, daß sie immer erst im letzten Augenblick die Flucht ergriffen. Wahrscheinlich kam es nicht so oft vor, daß hier ein deutsches Deppen-Duo englische Oldies sang. Aber es ging immer gut. Die letzten Meter vor den Tieren waren immer die kribbligsten, denn, das muß ich hier auch mal sagen, wir hatten mindestens genauso viel Angst vor den Kühen, wie wir hofften, daß sie vor uns hatten. Richtig sicher war ich mir aber eigentlich nie gewesen, ob jetzt die Kuh oder lieber ich abhauen sollte.
Aber wie gesagt, meistens funktionierte es so, wie wir es wollten. Aber es war nervenaufreibend, vor allem wegen unseres Pferdes, das unter seiner Last kaum hätte fliehen können. Also mußten wir immer forscher und entschlossener sein, als es so eine Kuh nervlich aushielt. Man meint, daß das ganz leicht ist.
Auch in diesem Fall machten wir einen auf richtig gefährlich, und die Viecher mußten schon denken, daß wir die Chefschlachter bei McDonald‘s waren, als Mary, die zwischen Alex und mir ging, ein paar Schritte nach links machte. Etwas gereizt durch die damit verbundene Rempelei fragte ich sie, was denn jetzt wieder los sei, aber sie sah mich gar nicht an. Mit aufgestellten Ohren schaute sie nach rechts. Alex krächzte noch ein „Yellow Submarine“ und erstarrte dann mitten im „Submarine“. Meine Augen folgten denen Mary Lous und dann wollte ich gar nicht mehr hinsehen. Keine fünf Meter hinter einem Busch stand der Leitbulle der Herde!
Er war ein extrem stabil aussehender Stier mit riesigen Hörnern und einem Brustkasten so groß wie ein Autobus. An seinem Hals hing eine enorm große Hautfalte hinab und seine Muskeln waren Gebirge aus Fleisch und Sehnen. Noch dazu war er pechschwarz und sah aus, als ob er Zorro für ein Muttersöhnchen hielt. Seine Hufe waren gigantisch und seine Ohren, die ab und zu wedelten, töteten jede Fliege, die um seinen Kopf kreiste durch ein leichtes Streifen. Sein Anblick zog mir den Arsch zusammen. Unwillkürlich mußte ich an Conan den Barbaren denken.
Unser Zug kam ins Stocken. Wir standen da und beäugten uns einander äußerst skeptisch. Keiner von uns wußte, was der jeweils andere als nächstes tun würde. Es war wie in einem Duell. Fest war der Blick auf den anderen gerichtet, in der Hoffnung, daß er doch bitte die Nerven verliere. Aber der Bulle hatte gute Nerven. Er war das Alpha-Männchen, der Leitrüde, der Platzhirsch, oder wie man es auch immer nennt. Er schaute uns durchdringend an und wartete.
Mein Hirn raste. Noch mal unser Submarine? Scheiße, nein! Was, wenn es ihm nicht gefällt? Vielleicht würde er sich darüber erschrecken und uns einfach angreifen. Yellow Submarine eignete sich doch nur dafür, über längere Distanzen auf sich aufmerksam zu machen. Durch unser Gesinge sollten die Tiere genug Zeit haben, uns auszuweichen, ohne irgend wie von uns erschrocken zu werden. Alle sollten auf die Begegnung vorbereitet sein. Das war der Sinn von „Yellow Submarine“, mehr nicht. Der Bulle hier hätte sich garantiert durch unser Gegröle angegriffen gefühlt und entsprechend vernichtend gehandelt. Wir waren aber auch zu sicher gewesen! Wir hatten gedacht, daß uns schon alle Viecher ausweichen würden, wenn wir nur laut genug singen würden. Das einer mal nicht zur Seite gehen würde, und noch dazu so groß und stark war, damit hatten wir nicht gerechnet.
Was sollten wir tun? Wenn wir panikartig weggelaufen wären, dann wäre er bestimmt hinter uns hergelaufen. Und was war mit Mary? Wir mußten versuchen, wegzukommen, solange er noch nicht wußte, daß wir nicht für einen Laden namens Burger King arbeiteten, sondern nur ein paar arme Würstchen waren, die sich auf seine Weide verlaufen hatten.
Langsam, ohne den Blick von ihm zu nehmen, führte Alex Mary Lou weiter, während ich nach hinten absicherte. Jedenfalls nannte ich es so. Ob es wirklich was mit Absichern zu tun hatte, konnte ich nicht so direkt sagen, denn die einzige Art, die mir einfiel, mich gegen diesen Kraftprotz zu wehren, wäre die Augen fest zu schließen gewesen. Ich hätte mir einfach vorgestellt, ich wäre nicht mehr da. So wie Kleinkinder das tun, wenn sie vor ein Auto laufen. Sie halten sich einfach die Hände vor das Gesicht und denken dann, daß das Auto sie nicht sehen kann, weil sie selbst das Auto auch nicht sehen können. Also kann auch nichts passieren. Ein brillanter Trick, wie mir schien, und ich nahm mir vor, ihn im Falle eines Falles ganz oben im Maßnahmenkatalog zu suchen. Der Bulle ließ sich aber gar nicht aus der Ruhe bringen. Als wir etwas mehr Abstand gewonnen hatten, kaute er ein wenig und sah uns nach. Er war cool. Er wußte, er schiss größere Haufen als wir.
Wir hatten ihn etwas hinter uns gelassen, als wir uns umdrehten und mit schnellen Schritten das Weite suchten. „Yellow Submarine“ hatte versagt, und mir stellten sich die Nackenhaare auf.  Unsere wirksamste Waffe war zu Staub zerbröselt.
Das Gelände wurde allmählich steiler, ein unaufhörliches Auf und Ab. Wir fanden den Tank erst nach Sonnenuntergang und bauten das Zelt im Dunkeln auf. Mary latschte noch kräftig auf meine Goldpfanne, und als wir Wasser holen gingen, da merkten wir, daß wir unser Zelt direkt vor die Einzugsschneise der Bullen zum Wasserloch gebaut hatten.
Grimmig guckten wir uns um. Sollten die Bullen doch kommen. Dann würde es einen harten Kampf geben. Für beide Seiten. Es hatte uns gefuchst, daß wir scheinbar nicht in der Lage gewesen waren, einen blöden Stier in die Flucht zu schlagen. Auch wenn er mehr als das fünffache an Körpergewicht auf die Waage brachte, wie Alex und ich zusammen. Es kratzte uns mächtig, selbst so schmählich das Weite gesucht zu haben. Jetzt machten wir einen auf erbarmungslos. Wir wollten jemanden aufmischen.
Ich kroch schon mit den schlechtesten Vorahnungen ins Zelt und sagte noch zu Alex: „Ich weiß nicht, was du denkst, aber das Zelt ist mein Lieblingsplatz geworden. Der einzige Ort ohne Sorgen und Schmerzen.“ Und er sagte ja. Und dann wachte ich nachts auf, und merkte, daß die Luft aus meiner Matte raus war. Ein Stachel hatte sich durch den Zeltboden gedrückt, und hatte meine Thermarestmatte aufgespießt. Die Kälte des Bodens hatte mich schon arg ausgekühlt, und es wurde eine ungemütliche Nacht. Wir schworen uns, nicht mehr zu sagen, wenn uns etwas gefiel. Wir waren der Meinung, irgend jemand würde uns belauschen und uns dann alles, was wir mochten wegnehmen. Die Chance würde er nicht noch einmal kriegen! Wir wollten schweigen. Und dann trat Mary Lou noch auf meine Gehstöcke. Ich war am Ende. Auch ohne Bullen.

Ich hatte keine Freude mehr in mir, als wir gegen elf Uhr am nächsten Tag losliefen. Ich wollte sterben. Der vorletzte Tag in der Wüste begann.
Da unsere Essensvorräte allmählich zu Neige gingen, hatte Mary heute relativ wenig zu tragen. Ein wenig Futter für sie war noch übrig und natürlich unsere Ausrüstung, von der wir aber in Oracle etwa zehn bis zwölf Kilo abwerfen wollten. Dinge, die wirklich nur störten. Zum Beispiel Karten und Bücher über die Superstition Mountains, das elendschwere Stativ, und natürlich Klamotten. Doch obwohl Mary so wenig wie noch nie auf diesem Trip tragen mußte, wagten wir es nicht, ihr von unserer Last abzugeben. Es war zwar schwer mitanzusehen, wie Marys Gepäck jeden Tag leichter wurde, das eigene aber immer gleich schwer blieb, aber immerhin konnten wir sagen, wann wir das Bedürfnis hatten, zusammenzubrechen. Mary bevorzugte da ja eher die heimliche Überrumpelungstaktik.
Wir wollten heute der Pipeline weiter nach Südwesten folgen, um später nach Süden in Richtung Oracle zu schwenken. Wir dachten, da die Pipeline eine Gerade war, Zeit und Kilometer gutmachen zu können.
Tatsächlich sah die Strecke auf der Karte sehr kurz aus, viel kürzer, als die von uns geplante Route. Was wir aber nicht beachtet hatten, war der Umstand, daß die Pipeline keinem Hindernis auswich. Übelste An- und Abstiege und tiefe, ausgetrocknete Wasserläufe waren die Folge unserer Entscheidung. Zugegeben, die Strecke war kürzer, aber ich wäre lieber die andere zweimal gelaufen. Auf der Karte sah es so aus, als ob wir Oracle noch am selben Tag erreichen könnten, aber in der Realität wäre ich am liebsten nach Hause gelaufen.
Am Willow Spring Tank machten wir Mittagspause. Es war ein wunderschöner Tag, und ich hatte ernsthafte Probleme, meine schlechte Laune zu behalten. Der Tank war vollständig umzäunt und hatte einen durch Corrals führenden Eingang, so daß wir uns sicher genug fühlten, um Mary frei laufen zu lassen.
Wir waren jetzt zwei Wochen unterwegs, und bis auf ihren Ausbruchsversuch war sie immer angebunden gewesen. Also dachten wir, es wäre eine gute Idee, ihr ein wenig Spaß zu gönnen. Wir nahmen ihr Gepäck und Seil ab und legten uns, in der Hoffnung, sie würde vielleicht Grasen gehen, oder sonst etwas tun, was Pferde eben so tun, ins Gras. Aber falsch gedacht.
Wir dösten in der Sonne, als ich plötzlich merkte, wie sich ein Schatten über mich schob. Ich riss die Augen auf und sah Mary, wie sie sich gerade an unserer Brottüte zu schaffen machte, in die wir auch immer ihre Ration Möhren steckten. Na gut, eine sollte sie schon mal haben.
Sie fraß hingebungsvoll, und wurde dann von uns weggejagt. Sie sollte doch endlich das tun, wofür sie Pferd war. Was auch immer das war.
Scheinbar war es Fressen, denn kaum waren meine Augen wieder zu, da versuchte sie den gleichen Trick bei Alex. Und wieder funktionierte er. Kurz gesagt, er funktionierte fünf mal, und dann war die Pause auch schon vorbei.
Während ich meine Schuhe wieder anzog und daran dachte, mir vielleicht dabei gegen den Schmerz ein Stück Leder zwischen die Zähne zu schieben, versuchte Alex Mary zu fangen, die unsere Betriebsamkeit als Zeichen für Arbeit erkannt und dann doch das Weite gesucht hatte.
Sie wußte ganz genau, was Alex von ihr wollte, als er mit einem Büschel Gras auf sie zu kam. Sie ließ ihn bis auf ca. drei Meter heran kommen und startete dann durch. Hilflos drehte Alex seinen Kopf zu mir, aber ich konnte nur lachen. Alex war in seiner Ehre gekränkt, und Mary stand jetzt etwa dreißig Meter von ihm entfernt und guckte ihn an. Alex ging langsam auf sie zu. Aufmerksam drehten sich ihre Ohren, und sie spielte Alex trippelnd vor, sie würde sich freuen, daß er sie jetzt holen komme. Und dann ließ sie ihn wieder stehen.
Ich hörte Alex fluchen und sah, wie er wütend mit dem Fuß aufstampfte. Und ich sah Mary Lou, wie sie wieder schelmisch in Alex‘ Richtung schielte. Sie war nicht sehr weit weg von ihm, genauso, daß er sie mit einem Spurt erreichen konnte. Sie lockte ihn. Und er viel darauf herein.
Er rannte plötzlich auf sie los, aber genau das hatte sie beabsichtigt. Im letzten Moment drehte sie sich um und galoppierte davon. Alex‘ Wortschatz war höchst interessant. Der Papst hätte auf der Stelle Suizid begangen. Die Tore der Hölle öffneten sich. Die Welt war dem Untergang geweiht.
Aber jetzt war Mary Lou in eine Ecke gelaufen und Alex konnte, oder besser durfte sie fangen. Natürlich hätte sie auch aus der Ecke noch vor ihn fliehen können, aber sie merkte wohl, daß Alex langsam der Geduldsfaden riss. Geschwitzt und irgendwie gar nicht erholt von der Pause kam Alex mit dem Pferd zu mir getrottet.
„Dieses verrückte Pferd..., Mary..., also echt!“, waren seine Worte. „Ich glaube langsam, die verarscht uns die ganze Zeit. Die schmeißt sich hin und haut einfach ab, wenn sie keine Lust mehr hat. Das ist es! Die macht sich über uns lustig!“ Und Mary lächelte still ihr übliches Grinsen.
Wir liefen weiter an der Pipeline entlang, brachten Zäune hinter uns und sangen uns mehrmals mit dem beliebten Song „Yellow Submarine“ den Weg frei, wenn mal wieder all zu viele Bullen auf der Straße standen. Aber der Glanz dieses Wüstenkriegerliedes war schon lange verblasst, ja wir dachten sogar schon daran, es durch ein anderes zu ersetzen. Vielleicht „Highway to hell“ von AC/DC.
Wir kamen gut voran, und erreichten unseren angestrebten Lagerplatz, No. Two Dirt Tank trotz der langen Pause schon um fünf Uhr. Der Name des Tanks war auch der, der mir bei seinem Anblick spontan eingefallen wäre. Immer noch hatten wir keinen Menschen gesehen. Und wir waren ganz froh darüber, denn wir sahen übel verwahrlost aus. Der Tag war anstrengend gewesen, und da wir nicht damit gerechnet hatten, daß der Weg so schwierig sein würde, hatten wir uns nicht genug Wasser mitgenommen.
Als wir unser Lager aufgebaut hatten und Wasser holen wollten, merkten wir, daß wir schon wieder genau vor dem Eingangsbereich zum Wasserloch lagerten. Wir waren aber zu faul, um noch mal alles abzubauen, und wollten sowieso endlich mal wieder ein Schnitzel essen. Außerdem waren wir durstig und wollten nicht soweit bis zum Wasser laufen. Wir blieben.
Die Pumpe schaffte es kaum, dem schlammigen Wasser auch nur eine Spur seiner braunen Farbe zu nehmen, und wir misstrauten ihr noch immer. Trotzdem kippten wir uns jeder am Abend noch fast zwei Liter dieser ekligen Flüssigkeit in den Rachen.
Morgen würden wir in Oracle sein. Morgen würde der zweite Teil unseres Trips zu Ende gehen, und der Dritte beginnen. Der härteste. Eigentlich hatten wir gedacht, bis hierher schon richtig fit für die Berge zu sein, aber statt dessen quälten uns die Sorgen um das Pferd. Jetzt sah es wieder völlig gesund und fit aus. Sie hatte sogar so gute Laune, daß sie mit uns Fangen spielte. Sie war verdammt zäh, aber war sie zäh genug? Sie war alt. Zu alt? Wir wußten es nicht, aber eines stand für uns fest, Mary war ein wundervolles Tier, und wir mochten sie von ganzem Herzen. Wir wollten es zu Ende bringen. Und wir wollten es mit ihr zu Ende bringen. Wir entschlossen uns, sie auch dieses Mal nicht zu tauschen.
Wir waren lange wach an diesem Abend, dachten darüber nach, welche Konsequenzen unsere Entscheidung haben könnte und guckten gedankenverloren zu den Sternen auf. Ab und zu huschte eine Sternschnuppe über den endlosen Himmel. Jemand hatte mir einmal gesagt, es sei das Licht sterbender Sterne. Und daß man sich etwas wünschen dürfe, wenn man eine Sternschnuppe sehen würde. Wir sahen viele Sterne sterben in dieser Nacht. Wie zwei kleine Kinder wünschten wir uns jedes Mal etwas. Aber es war immer nur das eine.
Es war Vollmond in dieser Nacht, und die Wüste war in ein silberfarbenes, gleißendes Licht getaucht. Der Mond war so hell, daß er scharfe Schatten von den Kakteen auf die Erde warf. Man konnte ohne Lampe lesen. Die Welt um uns herum präsentierte sich unwirklich, eine Welt ohne Farben. Alles war in Schwarz getaucht und nur das, was am Tage dem Auge entgangen war, weil es zu simpel oder trüb gewesen war, leuchtete angestrahlt vom Mondlicht hell auf. Die Schönheiten dieser Nacht waren nicht die Schönheiten des Tages. Hier bestand nicht, wer bunt und angemalt war, hier bestach das Schlichte, das Einfache. In dieser Traumwelt bestand nur der, der keine Farbe hatte.
Mary Lou stand ruhig zwischen zwei Büschen angebunden und schaute zu uns herüber. Das Mondlicht ließ ihr weißes Fell wie kaltes Feuer strahlen. Ich hob meinen Kopf und starrte gebannt in ihre Richtung. Sie stellte aufmerksam ihre Ohren auf und sah aus wie eine Elfe. Der helle Schein des Mondlichts ließ all ihre Narben verblassen, und ihre Augen funkelten in der Dunkelheit wie zwei Sterne. Man sah nicht mehr, daß sie alt war oder schiefe Zähne hatte. In dieser Nacht war sie noch einmal jung. Sie war noch einmal so wunderschön, wie sie es zu besseren Zeiten bestimmt einmal gewesen war. Sie war makellos und zauberhaft. Sie war eine Märchengestalt. Das letzte Einhorn. Verwunschen und geheimnisvoll. Die Last der letzten Tage und Wochen war abgefallen. Es war, als ob sie sagen wollte: Jungs, schaut mich an, ich kann es doch!‘.
In diesem einen Moment war alles klar. Ich hätte vor Glück heulen können. Ich stand auf, ging zu ihr herüber und flüsterte ihr ins Ohr: „Du bist wunderschön, mein Mondscheinpony. Ich danke Dir.“
Dann ging ich Schlafen. Ich wußte, am Ende würde ich doch gewinnen. Denn ich hatte das beste Pferd der Welt.



Der letzte Tag in der Wüste brach an. Wir hatten wieder schlecht geschlafen, da ein Rudel Koyoten in der Nacht unseren Platz zu seinem Jagdrevier erklärt hatte und die ganze Zeit wildeste Verfolgungsjagden mit kreischenden Vögeln und Hasen veranstaltet hatte. Ich war die Wüste langsam satt. Überall Bullen, jede Nacht dieses Koyotengeheul, beim Feuerholzsammeln immer die Furcht, in einen Skorpion zu fassen, oder auf eine Schlange zu treten, ekelhaftes Wasser und Stacheln, Stacheln, Stacheln. Ich sehnte mich nach den Bergen. Die Wüste hatte es mir gründlich gegeben, und sie holte aus, um mir den Todesstoß zu versetzen.
Als wir gegen halb neun aus unserem Zelt gekrochen kamen, war es schon mächtig warm, und das Sonnenlicht war heute besonders hart. Wir waren müde und erschöpft. Seit über zwei Wochen liefen wir jetzt, ohne einen Tag Pause. Die Ruhetage hatten wir für Mary geopfert, um die von uns gewählten Etappen zu verkürzen.
Wir kamen nicht richtig aus den Socken an diesem Morgen, und ich glaube, ich habe noch halb geschlafen, als ich beim Zusammenpacken auf das Zelt trat und es einriss. Alle Geräusche verstummten in diesem Moment. Die Welt knipste sich kurz aus. Es gab nur noch mich und das Zelt. Ich stand mit offenem Mund da, starrte auf die aufgerissene Zeltwand, fühlte Schwindel in mir aufkommen und plumpste auf den Hintern. Meine Beine sahen einfach keinen Grund mehr stehen zu bleiben. Ich hätte ihnen auch keinen Grund nennen können.  
Ich war gekommen, um einen Traum zu verwirklichen, den ich schon mein ganzes Leben lang geträumt hatte. Jetzt war ich hier, und alles was ich tat war mein Pferd, mich und meine Ausrüstung zu demolieren. Die Wüste lachte ihre trostlose Stille über mich.
Hatte da nicht kürzlich noch jemand gesagt, daß das Zelt doch der beste Platz sei, daß man sich wenigstens noch auf das Zelt verlassen könnte? Ha! Und hatte da nicht jemand gesagt, daß uns jemand belauschen würde? Ha! Wo zum Teufel war Kurt Felix mit seiner versteckten Kamera? Wieso kam er nicht endlich raus, damit ich ihn ordentlich vermöbeln konnte? Oder in einen Kaktus schubsen. Kaktus? Ach ja, ich hatte mich übrigens gerade in einen Kaktus gesetzt. Da war der Grund für meine Beine wieder aufzustehen. Einen besseren gab es nicht.
Alex zog mir die Stacheln aus dem Oberschenkel, und apathisch latschten wir los. Ich verlor verloren einige verlorene Lieder von verlorenen Verlierern irgendwo am Arsch der Einöde und am ganz falschen Ufer des Flusses Glück (Bon Jovi), dachte dann an Kurt Felix, und da ich noch immer nicht ganz davon überzeugt war, daß er nichts mit meinem Ungeschick zu tun hatte, hörte ich bald wieder auf. Ich kann nämlich nicht singen. Und das muß ja nicht im Fernsehen laufen.
Aber trotzdem merkte ich, daß ich trotz der ganzen Qualen dort draußen die Wüste auf eine sonderbare Art und Weise zu schätzen gelernt hatte. Es war das erste Mal für mich, daß ich eine Wüste betreten hatte. Ich hatte sie mir völlig anders vorgestellt. Geistig war ich gar nicht auf sie vorbereitet gewesen, weswegen mir meine Probleme wahrscheinlich auch größer erschienen, als sie es tatsächlich waren. In meiner Phantasie war die Wüste immer weit und leer gewesen. Und sie war auch weit, aber wenn man durch sie hindurch lief, dann konnte man diese Weite gar nicht spüren. Dafür waren die Pflanzen dank El Nino einfach zu hoch. Man konnte immer nur die nächsten Büsche oder Kakteen sehen, niemals aber weiter als fünfzig Meter. Es war eintönig gewesen, durch diesen Wald aus Gestrüpp zu laufen, immer nur das Gleiche zu sehen, und kein Gefühl für Entfernung entwickeln zu können. Oft hatte ich abends das Gefühl gehabt, ich könne in nur einer Stunde die gesamte Strecke des Tages zurücklaufen. Aber es waren viele Kilometer gewesen und Stunden des Marsches. Doch gab es nichts, woran man die Entfernung hätte messen können. Stieg man aber auf einen Hügel oder Berg, dann sah man die unendliche Weite der Wüste, wie sie sich nach allen Seiten gleichförmig ausbreitete, wie sie wie ein Meer da lag. Fast konturlos, wie mir manchmal schien.
Und trotzdem offenbarte die Wüste uns auch ganz verborgene Stellen, Stellen wie Gärten, Orte von solch ungestörter Schönheit, daß die eigene Anwesenheit betroffen machte. Aber wenn man über die Wüste schaute, dann sah man die kleinen geheimen Orte nicht mehr, die in der überwältigenden Gleichförmigkeit untergingen. Oder sich versteckten.
Und es gab Hunderte von Tieren. Wir hatten zwar nur wenige selbst gesehen, weil wir einfach zu laut waren, nur einige Vögel, Echsen, Insekten und Eselshasen hatten sich uns gezeigt, aber wir hatten viele Spuren gesehen. Und wir hatten sie in der Nacht gehört. Wenn sie jagten oder kämpften. Jeden Morgen hatten wir frische Spuren in unserem Lager gefunden, aber die Verursacher waren immer wie Phantome verschwunden.



Die Wüste hatte einen tiefen Eindruck auf uns hinterlassen. Sie hatte sich uns offenbart, aber sie hatte auch immer Distanz zu uns gehalten und uns gezeigt, daß mit ihr nicht zu Spaßen war. Sie hatte uns die Wichtigkeit von Wasser vor Augen geführt, und obwohl wir niemals in die Verlegenheit gekommen waren, wirklich zu wenig Wasser zu haben, hatte sie gezeigt, daß man hier um Wasser kämpfen mußte. Alle taten das. Wäre weniger Wasser da gewesen, dann hätten wir auch kämpfen müssen. Dann wären die Bullen vielleicht nicht so schnell ausgewichen oder hätten einen Weg ums Zelt gemacht.
So standen wir da und betrachteten die Wüste, die sich bis zum Horizont erstreckte. War es Verbundenheit? Oder Respekt? Ich weiß es nicht mehr, aber ich wußte, daß ich die Erlebnisse in der Wüste niemals vergessen würde. Es war hart gewesen, sie zu durchqueren. Sie hatte es uns nicht gerade leicht gemacht, aber wenn es einfach gewesen wäre, glaube ich, hätte ich mir niemals solche Gedanken über sie gemacht. Ich war stolz. Aber ich war nicht eingebildet, nein, ich war stolz darauf, daß ich durfte, was ich tat. Man sagt, daß sich wahre Bescheidenheit niemals selbst erkennt, und ich will mich auch gar nicht bescheiden nennen, aber ich war dankbar für dieses kleine Stück. Ich wußte, es hätte noch viel schlimmer kommen können. Wir gingen weiter. Und es kam schlimmer.
Wir stolperten über einige deutlich sichtbar oft benutzte Wege, überquerten noch ohne große Probleme ein paar Zäune und erreichten bald die Stadtgrenze von Oracle. Der Teufel soll es holen.
Wir kamen aus der Wüste. Wir befanden uns streng genommen auf Privatbesitz. Das hatte jedenfalls das letzte der von uns zufällig übersehenen Schilder mit der Aufschrift: Private Property! Keep Out! Shooting! gesagt. Und jetzt standen wir am Highway, der nach Oracle hineinführte. Unser Highway zu einem kühlen Bier und einer Dusche. Nur leider waren wir wieder auf der falschen Seite des Zauns.
Wir liefen nach beiden Seiten am Zaum entlang und fanden schließlich ein Tor. Abgeschlossen. Übrigens wie die beiden letzten auch. Aufschneiden des Zauns fiel diesmal als Möglichkeit flach, weil man uns von der Straße aus sehen konnte. Aufwickeln dauerte noch länger, würde aber im Falle einer Entdeckung weniger Konsequenzen haben. Ausgraben schien uns wegen des Buschbewuchses unmöglich. Aus lauter Frust, und natürlich, weil ich mal mußte, pinkelte ich ihn einfach an.
Wir schauten uns noch einmal die Karten an, ob nicht in der Nähe noch ein anderer Weg wäre. Und tatsächlich. Allerdings mußten wir dazu auch über einen Zaun, der allerdings von der Straße aus nicht eingesehen werden konnte, und um den es in Falle des Falles einfach geschehen wäre. Vorsichtshalber ging ich mal vor und kundschaftete die Lage aus. Ich fand den Weg, der auf der Karte eingezeichnet gewesen war, folgte ihm zur Straße und sah, daß auch hier das Tor mit einem Kettenschloss verschlossen war. Verdammt, das sollte das ach so freie Land Amerika sein? Der Wilde Westen? Daß ich nicht lache. Ich ging zurück zu Alex und Mary, wir fluchten rum und schmiedeten dunkle Pläne.
Wir wollten eine Stelle suchen, die so gut wie möglich von Büschen gedeckt war. Dort sollte Alex heimlich und möglichst unauffällig den Zaun aufwickeln und mir dann ein Zeichen geben, wenn mal gerade kein Auto kommen würde. Dann wollte ich mit Mary durch das Loch rennen, schnell zur Straße laufen, und dann möglichst viel Entfernung zum Loch hinter mich bringen bis das nächste Auto kam.
Und genauso machten wir es. Nur daß Alex alles andere als heimlich war, mit seinem riesigen blauen Rucksack auf dem Rücken, und ich, als ich auf die Straße rannte, fast von einem Auto, dessen Insassen mich ziemlich erschrocken anglotzten überfahren wurde. Und für diese Aktion hatten wir zweieinhalb Stunden gebraucht!
Nach dieser heldenhaften Tat stiefelten wir müde am Rand des Highways nach Oracle. Schon bald stellte sich heraus, daß der einzige Campground von Oracle, den wir zwecks Dusche und Ruhetag zur Besichtigung der Biosphere II aufsuchen wollten, zehn Meilen außerhalb lag, und natürlich in der falschen Richtung. Also suchten wir uns ein kleines Motel, parkten Mary direkt davor und begannen zu verhandeln. Ob man einen Stall für Mary hätte. Ob man einen Platz für ein Zelt hätte. Wo der nächste Saloon sei.
Einen Stall für Mary gab es. Sogar einen guten. Sie sollte sich vor dem Marsch durchs Gebirge noch mal so richtig den Wanst voll schlagen. Die von uns mitgeführten Pellets gaben ihr zwar Kraft, aber Heu ist doch besser. Es füllt den Magen.
Ein Platz für unser Zelt gab es nicht, aber das war uns egal, es war ja eh zerrissen. Und der Saloon fiel schon wieder aus. Wir brachten Mary zum Stall, bezogen unser kleines Zimmer und duschten. Danach sortierten wir unsere Ausrüstung, putzten und säuberten alles Mögliche, latschten los zum Einkaufen im teuersten Laden der ganzen Strecke, dann zur Post, die schon längst geschlossen hatte, und in deren Briefmarkenautomat auch viel zu wenig Briefmarken waren, und anschließend noch zur Wäscherei, die in fünfzehn Minuten schließen sollte. Als wir danach noch ein paar Burger verschlungen hatten und zurück im Motel waren, versuchte ich noch das Zelt zu nähen. Um zwei Uhr gab ich allerdings völlig entnervt und mit schmerzenden Fingern auf. Nichts wollte funktionieren. Ich fluchte sogar im Traum.
Morgen wollte Pat um neun Uhr da sein, damit wir uns zusammen mit ihr und Martin C. die Biosphere II ansehen konnten.

Als wir am nächsten Morgen um sieben Uhr erwachten, dachte ich, ich hätte noch nie im Leben geschlafen. Wir packten schnell unser Gepäck zusammen und standen kurz vor neun vor dem Motel. Wir wollten heute nach der Besichtigung der Biosphere II noch weiter laufen, da uns der Aufenthalt in Oracle doch zu teuer erschien.
Es war empfindlich kalt an jenem Morgen, und mehr um ein Alibi zu haben, in die warme Rezeption des Motels zu kommen, fragten wir die Besitzerin nach ihrer Meinung zu unserer weiteren Strecke. Das hätten wir besser nicht getan, denn sie machte mit wenigen Worten kaputt, was wir über ein Jahr geplant hatten.
„Nach Summerhaven kommt ihr niemals. Summerhaven hat im Moment drei Meter Schnee und fürs Wochenende sind weitere Schneefälle angekündigt!“
So einfach war das. Summerhaven hatte Schnee. Und nicht wenig. Drei Meter. In einen Gebirge mitten in der Sonora-Wüste liegt eine Stadt namens Sommerhafen, und es gibt dort auch noch Schnee! Wer hätte das gedacht? Ich jedenfalls nicht. Wir mußten aber nach Summerhaven, um uns dort mit neuem Proviant einzudecken, damit wir nicht wieder mit 160 Kilo loslaufen mußten. Wenn es mir nicht so peinlich gewesen wäre, dann hätte ich laut um Hilfe geschrieen. Okay, es war wieder mal allein meine Schuld, ich hätte mich besser informieren müssen, aber wer denkt schon daran, sich in der Wüste von Arizona nach den örtlichen Schneeverhältnissen zu erkundigen? Ich jedenfalls und überhaupt nicht. Wir kramten unsere Karten raus. Der ursprüngliche Plan, über Summerhaven nach Tucson zu gelangen war hiermit gestorben.
Da Pat immer noch nicht da war, und es mittlerweile schon halb elf war, riefen wir bei ihr zu Hause an. Es meldete sich niemand, und wir gingen von der Tatsache aus, daß sie unterwegs sein würde. Also ließen wir uns in aller Ruhe die Alternativrouten zeigen. Es war auch viel wärmer im Haus. Irgendwas in mir sagte mir, ich solle, wenn Pat kommen würde, ganz schnell mit ihr nach Hause fahren. Immerhin hatte sie eine hübsche Tochter. Und wärmer war es bei ihr bestimmt auch.
Wir waren sichtlich entmutigt, als wir gegen zwölf das Büro wieder verließen. Vielleicht bot sich deshalb die Besitzerin an, uns zur Biosphere II zu fahren, damit nicht der ganze Tag verloren wäre. Aber wir bauten auf Pat und wollten noch warten. Telephonisch war sie nicht zu erreichen. Um zwei saßen wir im Auto der Motelbesitzerin, auf dem Weg zur Biosphere, ohne Pat.

Freitag, der 13.03.1998. Ein Omen? Ich war bereit alles, was ich hatte, darauf zu setzen, daß wir heute wieder eine kräftige Abreibung bekommen sollten. Hätte ich gespielt, ich hätte alles gewonnen. Aber ich bin kein Spieler, ich bin ein Verlierer.
Wir hatten noch eine weitere Nacht im dem kleinen Motel verbracht und waren am Morgen wach und ausgeruht. Nach einem typisch amerikanischen Frühstück mit Cartoons, der Sesamstraße und Dr. Quinn - Medicine Woman, stellten wir uns wieder an die Straße vor das Motel. Die Besitzerin lächelte mitleidig und bot uns an, wieder in ihr Büro zu kommen, aber wir wollten ihr nicht schon wieder so viel Schwäche zeigen, so daß wir draußen blieben und bibberten.
Gegen zehn Uhr kam dann auch glücklicherweise Pat mit einer irre fetten Freundin, die uns wie zwei alte Bekannte begrüßte und die beiden Plätze vorn im Auto bei Pat völlig für sich beanspruchte. Also luden wir unser Gepäck auf Pats Pickup, kletterten dann selbst auf die Ladefläche, und begannen von neuem zu bibbern. Wir hielten noch kurz an einem kleinen Laden, um unsere Vorräte an Essen etwas aufzupäppeln und fuhren dann weiter zum Stall, in dem wir Mary Lou untergebracht hatten.

(weiter geht es mit Kapitel 5: Die Santa Catalina Mountains)

In der Ferne 1, Weltweit